Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
während sie lachten und Gespräche führten. Sie genoss die angeregten Unterhaltungen und den Klatsch. Aber letzte Nacht war Deborah dieser Zauber gestohlen worden.
Egal. Heute Abend, das schwor sie sich, würde sie sich ihre Seele zurückholen.
Sie erschauerte in dem Bewusstsein, dass diese Veranstaltung auszulassen erst der erste Akt der Auflehnung sein würde, den sie heute begehen würde. Sie hatte nie zuvor eine Rebellion angezettelt, und sie wusste nicht, ob ihr Erfolg beschieden sein würde.
Als die Kutsche den Weg über die Michigan Avenue nahm, musste Jeremy langsamer fahren, weil so viele Menschen zu Fuß unterwegs waren; Karren, Gespanne und ganze Familien bevölkerten die Straßen. Sie schienen alle zur Rush-Street-Brücke zu wollen, die den Fluss überspannte. Trotz der späten Stunde hatte sich eine Menschenmenge am kleinen Stadion der Chicago White Stockings versammelt.
Deborah klopfte gegen die Scheiben vorne und rief Jeremy zu: „Ist alles in Ordnung, Jeremy?“
Er antwortete ein paar Augenblicke lang nicht, während er die Kurve zur River Street meisterte und zur nächsten Brücke nach Westen fuhr. Ihnen begegneten immer mehr Menschen, die wie ein Strom im flackernden Licht der Kutschenlampen dahinwogten. Deborah drehte sich auf der gepolsterten Bank um, um einen Blick durch die hintere Fensterscheibe zu werfen. Die Leute waren größtenteils sorgfältig gekleidet, und obwohl niemand trödelte, so hatte es auch niemand erkennbar eilig. Sie erinnerten an Theaterbesucher, die das Schauspielhaus verließen. Dennoch wirkte es seltsam, dass so viele Menschen an einem Sonntagabend auf den Straßen waren.
„Es heißt, in der West Division wütet ein großes Feuer“, berichtete Jeremy ihr schließlich durch das Sprechrohr. „Jede Menge Leute mussten evakuiert werden. Ich habe sie gleich zu Hause, Miss, keine Sorge.“
Sie wusste, Kathleens Eltern wohnten in der West Division, wo sie ein paar Milchkühe hielten. Sie hoffte, den O’Learys ging es gut. Die arme Kathleen. Heute Abend sollte sie sich amüsieren, ihren Spaß haben und den Streich genießen, den sie der Gesellschaft spielte, aber ein großer Brand konnte das alles gefährden.
Sie fragte sich, ob Dr. Moodys Lesung wohl abgesagt werden würde wegen des Feuers. Vermutlich nicht. Die Brandschutzbehörde von Chicago rühmte sich der jüngsten Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Feuermelder und der Brandbekämpfung, wozu auch Hydranten, dampfbetriebene Pumpen und ein ausgeklügeltes System für die Meldung von Bränden sowie eine Reihe von Nebenstellen der Feuerwache gehörten. Viele der Gebäude aus Stein und Stahl galten als feuerfest. Die Elite der Stadt würde sich vermutlich in die nördlichen Stadtteile in Sicherheit bringen, sich angenehm die Zeit vertreiben, während die Feuerwehr die Feuersbrunst in der Ferne unter Kontrolle brachte und schließlich löschte.
Sie starrte zu dem unnatürlichen Lichtschein im Westen. Ihr stockte der Atem – nicht vor Angst, sondern vor Staunen angesichts des ungewohnten, beeindruckenden Anblicks. Der Horizont leuchtete hell wie am Morgen. Doch dem Himmel fehlte die Unschuld des neuen Tageslichts, und in der Gegend jenseits des Flusses regneten Flammen vom Himmel, so dicht wie Schneeflocken in einem Blizzard.
Ein ungutes Gefühl erfasste sie, aber sie schob es beiseite. Das Feuer würde aufhören, wenn es den Fluss erreichte. Viel stärker beschäftigte Deborah die Frage, wie sie ihren Vater dazu bewegen konnte, sie zu verstehen und ihre Entscheidung zu akzeptieren.
Die Kutsche wurde langsamer, rollte aus und blieb vor dem steinernen Stadthaus ihres Vaters stehen. Umgeben von Grünflächen und Gärten nahm das schlossartige Anwesen mit seinen Außengebäuden beinahe einen ganzen Straßenblock ein. Es gab einen Fischteich, auf dem im Winter Schlittschuh gelaufen werden konnte. Das Gebäude selbst hatte neoklassizistische Säulen nach griechischem Vorbild und ein Mansardendach, wie es in Mode war, in französischem Stil. Eine große Kuppel mit einem schlanken Blitzableiter erhob sich in den Himmel. Eine gefällig geformte Veranda säumte die Vorderfront des Hauses, von der eine breite Treppe zur Auffahrt davor hinunterführte.
„Sie sind zu Hause, Miss“, verkündete Jeremy. Seine Schritte knirschten auf der Kiesauffahrt, als er zum Kutschenschlag kam, um ihr beim Aussteigen zu helfen.
Noch nicht einmal in einem gefühlsbetonten Moment hätte Deborah das Anwesen in der Huron Avenue als ihr
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