Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
Vom Netzwerk:
stürzen.«
    »Scheint tatsächlich so.«
    »Das ist wirklich eine traurige Geschichte, eine Geschichte der Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit, eine Geschichte, in der man buchstäblich nichts tun kann. Der Mensch ist unvollkommen, er wird deshalb immer nur Schaden anrichten, wo er ein Paradies schaffen sollte, und daran läßt sich nichts ändern. Ihr steuert geradewegs in die Katastrophe und könnt nur tatenlos zusehen, wie sie näherkommt.«
    »Scheint so.«
    »Mit einer so trostlosen Geschichte als einziger Perspektive ist es kein Wunder, daß viele von euch zu Drogen oder Alkohol greifen oder den ganzen Tag fernsehen. Kein Wunder, daß viele verrückt werden oder an Selbstmord denken.«
    »Das mag schon sein, aber gibt es denn eine andere?«
    »Andere was?«
    »Eine andere Geschichte, nach der man leben könnte.«
    »Ja, es gibt sie, aber die Nehmer tun ihr Bestes, sie zusammen mit allem anderen zu vernichten.«
    7
    »Hast du dir auf deinen Reisen oft irgendwelche Sehenswürdigkeiten angesehen?«
    Ich sah ihn verständnislos an. »Sehenswürdigkeiten?«
    »Hast du Abstecher gemacht, um dir hier und da eine Sehenswürdigkeit anzusehen?«
    »Ich glaube schon. Manchmal.«
    »Dann hast du sicher bemerkt, daß nur Touristen solche Sachen ansehen. Für die Einheimischen sind sie praktisch unsichtbar, weil sie immer da sind.«
    »Das stimmt.«
    »Wir haben auf unserer Reise bisher das Folgende getan: Wir haben uns in deiner kulturellen Heimat umgesehen und die Sehenswürdigkeiten besichtigt, die Einheimische nie sehen. Ein Besucher von einem anderen Planeten würde sie bemerkenswert oder gar sensationell finden, aber die Menschen deiner Kultur nehmen sie als selbstverständlich hin und bemerken sie gar nicht mehr.«
    »Stimmt. Du mußtest meinen Kopf in die Hände nehmen und ihn in eine bestimmte Richtung drehen und sagen: »Siehst du das denn nicht?< Worauf ich dann sagte: »Was soll ich denn sehen? Da gibt es nichts zu sehen. <«
    »Heute haben wir die meiste Zeit ein besonders eindrucksvolles Monument eurer Kultur angesehen - ein Axiom, das besagt, man könne auf keine Weise in den Besitz gesicherten Wissens gelangen, wie der Mensch leben soll. Man kann dieses Postulat nur glauben, ohne Beweise, da es sich seiner Natur nach nicht beweisen läßt.«
    »Stimmt.«
    »Und der Schluß, den du aus diesem Axiom ziehst...?«
    »Es hat keinen Sinn, nach einem solchen Wissen zu suchen.«
    »Richtig. Euren Karten zufolge deckt sich die Welt des Geistes mit eurer Kultur. Sie endet, wo auch eure Kultur endet, und wer sich über diese Grenze hinauswagt, fällt vom Rand der Welt. Verstehst du mich?«
    »Ich glaube ja.«
    »Morgen werden wir unter Aufbietung unseres ganzen Mutes diese Grenze überschreiten. Und du wirst sehen, wir werden nicht vom Rand der Welt hinunterfallen. Wir werden lediglich ein neues Land betreten, ein Land, das noch kein Mensch deiner Kultur betreten hat, weil es auf euren Karten gar nicht existiert - und gar nicht existieren kann.«

Sechs
    1
    »Und wie geht es dir heute?« fragte Ismael. »Schwitzende Hände? Herzklopfen?«
    Ich starrte ihn nachdenklich durch die Scheibe an, die uns trennte. Der augenzwinkernde Ton war neu, und ich war nicht sicher, ob ich ihn mochte. Ich war versucht, ihn daran zu erinnern, daß er verdammt noch mal ein Gorilla sei, aber dann beherrschte ich mich und murmelte nur: »Bis jetzt geht es noch, danke.«
    »Fangen wir also an. An der Grenze des Denkens deiner Kultur stehen wir vor einer Mauer. Gestern habe ich Monument dazu gesagt, aber schließlich kann eine Mauer ja auch ein Monument sein. Diese Mauer auf jeden Fall ist ein Axiom, welches besagt, daß der Mensch nicht sicher wissen kann, wie er leben soll. Ich weise dieses Axiom zurück und steige über die Mauer. Wir brauchen keinen Propheten, der uns sagt, wie wir leben sollen. Wir können das selbst herausfinden, indem wir uns die Welt, in der wir leben, genauer ansehen.«
    Darauf gab es nichts zu sagen, ich zuckte deshalb nur die Schultern.
    »Natürlich bist du skeptisch. Den Nehmern zufolge kann man durch die Erforschung des Universums alle möglichen nützlichen Dinge erfahren, aber nichts darüber, wie der Mensch leben soll. Ihr habt gelernt zu fliegen, Atome zu spalten, Botschaften mit Lichtgeschwindigkeit zu den Sternen zu schicken und so weiter, aber all das bringt euch nicht weiter im Hinblick auf das elementarste und notwendigste Wissen: das Wissen, wie ihr leben sollt.«
    »Richtig.«
    »Wer vor hundert

Weitere Kostenlose Bücher