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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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weitreichende Schlußfolgerung.«
    »Nein.«
    »Dabei haben die Menschen keinen angeborenen Fehler. Wenn sie eine Geschichte aufführen, die sie mit der Welt in Einklang bringt, dann leben sie mit der Welt in Einklang. Wenn sie eine Geschichte aufführen, die sie in Widerspruch zur Welt setzt, wie es die eure tut, leben sie im Widerspruch zur Welt. Sagt die Geschichte, sie seien die Herren der Welt, dann handeln sie auch wie die Herren der Welt. Und wenn die Welt in dieser Geschichte ein Gegner ist, der unterworfen werden muß, unterwerfen sie sich die Welt auch wie einen Gegner, und eines Tages wird dieser Gegner unvermeidlich zu ihren Füßen liegen und verbluten wie die Welt heute.«
    4
    »Vor einigen Tagen«, fuhr Ismael fort, »habe ich deine Erklärung, warum die Welt so ist und nicht anders, ein Mosaik genannt. Bisher haben wir uns nur die großen Linien des Mosaiks angesehen - die allgemeinen Umrisse des Bildes. Ins Detail gehen wollen wir nicht. Das kannst du leicht selber, wenn wir fertig sind.«
    »Gut.«
    »Aber bevor wir weitermachen, müssen wir noch ein wichtiges Element des Bildes ergänzen ... Ein besonders auffälliger Zug der Kultur der Nehmer ist deren leidenschaftliche und unerschütterliche Sehnsucht nach Propheten. Der Einfluß von Propheten wie Moses, Gautama Buddha, Konfuzius, Jesus und Mohammed in der Geschichte der Nehmer ist ungeheuerlich, wie du sicher weißt.«
    »Ja.«
    »Auffallend ist dabei besonders, daß es bei den Lassern überhaupt nichts Vergleichbares gibt - es sei denn als Folge des verheerenden Kontakts mit der Kultur der Nehmer, also etwa Wovoka und den Geistertanz oder John Frumm und die Cargo-Kulte des Südpazifik. Sonst haben die Lasser keinerlei Propheten, die ihr Leben ordnen und ihnen neue Gesetze oder Richtlinien geben würden, nach denen sie leben könnten.«
    »Wahrscheinlich war mir das irgendwo schon klar. Mir und den anderen auch. Ich glaube, das ist ... ich weiß nicht.«
    »Sprich weiter.«
    »Ich glaube, dahinter steht das Gefühl: Diese Menschen sind ja auch gar nichts wert. Ich meine, es ist doch nicht wirklich überraschend, daß die Wilden keine Propheten haben. Gott interessierte sich erst für die Menschheit, als in der Jungsteinzeit diese netten weißen Bauern auftauchten.«
    »Eine gute Beobachtung. Aber ich will jetzt nicht darauf hinaus, daß die Lasser keine Propheten haben, sondern daß die Propheten bei den Nehmern so ungeheuer einflußreich sind. Millionen waren bereit, für einen Propheten zu sterben. Was macht die Propheten so wichtig?«
    »Wirklich eine gute Frage, aber ich glaube kaum, daß ich sie beantworten kann.«
    »Na gut, versuchen wir es anders: Was wollten die Propheten? Was war ihre Aufgabe?«
    »Das hast du vor einer Minute selbst gesagt: Sie sollten hier Ordnung schaffen und uns sagen, wie wir leben sollen.«
    »Eine lebenswichtige Information also. Für die es sich ganz offensichtlich lohnt zu sterben.«
    »Ja.«
    »Aber warum? Warum braucht ihr dazu Propheten? Warum braucht ihr überhaupt jemand, der euch sagt, wie ihr leben sollt?«
    »Aha, jetzt sehe ich, worauf du hinauswillst. Die Propheten müssen uns sagen, wie wir leben sollen, weil wir es sonst nicht wissen würden.«
    »Genau. Aus Fragen, wie der Mensch leben soll, werden bei den Nehmern zuletzt immer religiöse Fragen, um die sich dann die Propheten streiten. Als in diesem Land zum Beispiel die Abtreibung legalisiert werden sollte, galt das zunächst als ausschließlich ziviles Problem. Dann dachten die Leute noch einmal darüber nach und befragten ihre Propheten, und schon bald war daraus ein religiöser Streit geworden, in dem beide Seiten sich der Unterstützung der Kirche versicherten. Ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob Drogen wie Heroin und Kokain legalisiert werden sollten; sie wird gegenwärtig noch hauptsächlich unter praktischen Gesichtspunkten erörtert, aber wenn es je damit ernst werden sollte, werden bestimmte Leute ganz sicher religiöse Schriften wälzen, um zu erfahren, was ihre Propheten zu diesem Thema zu sagen haben.«
    »Stimmt. Das geht schon so automatisch, daß keiner es mehr hinterfragt.«
    »Soeben hast du gesagt: >Wir brauchen Propheten. Sie müssen uns sagen, wie wir leben sollen, weil wir es sonst nicht wissen würden.< Warum eigentlich nicht? Warum würdet ihr ohne eure Propheten nicht wissen, wie ihr leben sollt?«
    »Eine gute Frage. Ich würde sagen, weil ... Nimm die Abtreibung. Wir könnten tausend Jahre über das Für und

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