Ismael
würde immer besser werden. Ein Ende war nicht vorstellbar und nicht in Sicht.«
»Das stimmt.«
»Du hast allerdings ein Element der Geschichte ausgelassen, und das brauchen wir für die vollständige Erklärung deiner Kultur, warum die Welt heute so ist und nicht anders.«
»Was denn?«
»Ich glaube, du kommst selbst drauf. Fassen wir zusammen, was wir haben: >Die Welt wurde erschaffen, damit der Mensch sie erobern und beherrschen konnte, und sie sollte unter der
Herrschaft des Menschen ein Paradies werden. < Darauf muß ganz offensichtlich ein einschränkendes Aber folgen. Die Nehmer wußten ja selbst immer, daß die Welt von dem Paradies, das sie sein sollte, weit entfernt war.«
»Ja. Laß sehen ... Wie wäre es damit: Die Welt wurde erschaffen, damit der Mensch sie erobern und beherrschen konnte, aber dann stellte sich heraus, daß dabei mehr zerstört wurde als vorhergesehen.«
»Du hörst mir nicht zu. Das Aber war ein Teil der Geschichte, lange bevor eure Eroberung die Welt zu zerstören begann. Es diente dazu, sämtliche Mängel eures Paradieses zu erklären - Kriege, Grausamkeiten, Armut, Unrecht, Korruption und Tyrannei. Es dient noch heute dazu, Hungersnöte, Unterdrückung, atomares Wettrüsten und Umweltverschmutzung zu erklären. Man hat damit den Zweiten Weltkrieg erklärt und wird damit, sollte es je dazu kommen, auch den Dritten Weltkrieg erklären.«
Ich starrte ihn verständnislos an.
»Ich spreche von einem Gemeinplatz. Jeder Drittkläßler kennt ihn.«
»Du hast sicher recht, aber ich weiß trotzdem nicht, was du meinst.«
»So überlege doch. Was ist schiefgegangen? Was ist seit jeher schiefgegangen? Die Erde hätte unter der Herrschaft des Menschen ein Paradies werden sollen, aber ...«
»Aber die Menschen haben es versiebt.«
»Ja. Und warum haben sie es versiebt?«
»Warum?«
»Wollten sie vielleicht kein Paradies?«
»Nein, das war es nicht ... sie konnten nicht anders. Sie wollten aus der Erde ein Paradies machen, aber weil sie Menschen waren, konnte es nicht gelingen.«
»Aber warum nicht? Warum konnte es nicht gelingen?«
»Weil der Mensch nicht vollkommen ist, weil er einen angeborenen Fehler hat. Deshalb bringt er kein Paradies zustande.
Der Fehler macht ihn dumm, destruktiv, habgierig und kurzsichtig.«
»Genau. Das ist in deiner Kultur doch allseits bekannt. Der Mensch sollte aus der Erde ein Paradies machen, aber tragischerweise wurde er mit einem Fehler geboren. Und seine Dummheit, Habgier, Blindheit und Destruktivität haben das Paradies immer verhindert.«
»Stimmt.«
3
Erst jetzt wurde mir bewußt, was Ismael gesagt hatte. Ungläubig starrte ich ihn an. »Willst du damit etwa sagen, daß diese Erklärung falsch ist?«
Ismael schüttelte den Kopf. »Gegen einen Mythos kommt man so nicht an. Es gab eine Zeit, in der die Menschen deiner Kultur die Erde für den Mittelpunkt des Universums hielten. Der Mensch war der Grund, warum das Universum überhaupt erschaffen worden war, deshalb war es nur logisch anzunehmen, daß seine Heimat die Hauptstadt des Universums sei. Die Anhänger Kopernikus' haben nicht gegen diese Vorstellung angekämpft. Sie erhoben nicht vorwurfsvoll den Zeigefinger und sagten: >Ihr habt unrecht.< Statt dessen zeigten sie zum Himmel und sagten: >Seht euch an, was da droben ist.<«
»Ich weiß nicht, worauf du hinaus willst.«
»Wie kamen die Nehmer zu dem Schluß, der Mensch sei fehlerhaft? Was für Tatsachen hatten sie vor Augen?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich glaube, du stellst dich absichtlich dumm. Die Tatsachen der menschlichen Geschichte.«
»Ach so.«
»Und wann begann die Geschichte des Menschen?«
»Na ja ... vor drei Millionen Jahren.«
Ismael sah mich entgeistert an. »Du weiß doch genau, daß diese drei Millionen Jahre erst vor kurzem zur Geschichte des Menschen dazugekommen sind. Bis dahin glaubte man allgemein, die Geschichte habe wann angefangen?«
»Na ja, vor ein paar tausend Jahren.«
»Eben. Die Menschen deiner Kultur glaubten tatsächlich, die ganze menschliche Geschichte sei eure Geschichte. Keiner dachte auch nur im entferntesten daran, menschliches Leben könnte schon vor eurer Herrschaft existiert haben.«
»Ja.«
»Als die Menschen deiner Kultur also zu der Ansicht kamen, der Mensch habe einen Fehler, was hatten sie da vor Augen?«
»Die Tatsachen ihrer eigenen Geschichte.«
»Genau. Und zwar ein halbes Prozent der Geschichte einer einzigen Kultur, also nicht gerade eine solide Grundlage für eine so
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