Ismaels fliegende Wale
wieder zu fressen, und die Haie konzentrieren sich auf die kleineren Geschöpfe oder stürzen sich gelegentlich auf einen kranken oder verletzten Wal. Dann entspricht alles wieder der Lage, wie sie vor dem Regen war.“
Die Unterhaltung wandte sich anderen Dingen zu und konzentrierte sich schließlich auf Ismaels eigene Geschichte, auf die Welt, aus der er gekommen, und was geschehen war, nachdem er Namalee getroffen hatte. Bald verstand Ismael, weshalb Namalee mit keiner Silbe erwähnte, daß er sie berührt und während der Nacht warmgehalten hatte. Sie schien keinesfalls übertrieben zu haben, als sie behauptet hatte, ihr Volk würde jeden töten, der eine „keusche Jungfrau“ belästigte. Und als Belästigung galt sogar eine zufällige Berührung.
Nach dem Essen wies der Kapitän darauf hin, daß es nun an der Zeit sei, dem kleinen Schiffsgott Ishnuvakardi Dank abzustatten, der ihre Huldigung – verstärkt mit der seinen – an den großen Gott Zoomashmarta weiterleiten werde. Sie erhoben sich, stiegen über eine Leiter in den Hauptgang hinab und betraten einen Raum, dessen transparente Wände mit religiösen Szenen bemalt waren.
Auf einem Knochenaltar befand sich eine Schachtel aus dem gleichen Material. Namalee baute sich davor auf und legte einen knöchernen Kopfschmuck an, an dem man Hunderte von kleinen und roten Krillstücken befestigt hatte. Vor der Schachtel brannte in einem hölzernen Gefäß ein kleines Feuer.
Außer den Diensttuenden hatte sich die komplette Mannschaft versammelt. Als Namalee sich ihnen zuwandte und in einer Sprache zu sprechen begann, die sie Ismael nicht gelehrt hatte, knieten sie sich hin. Auch Ismael nahm an dieser Zeremonie teil, denn er sah nicht den geringsten Grund, weshalb er sich stur verhalten oder gar unhöflich geben sollte. Außerdem huldigte er hier nicht zum ersten Mal einer nichtchristlichen Gottheit. Er hatte Heuchelei, Habgier, Haß und ein Pantheon anderer Untugenden der Zivilisation kennengelernt und an der Huldigung Yojos – der Gottheit Queequegs – ohne anschließende Gewissensbisse teilgenommen. Er kniete sich vor dem Altar und der Schachtel hin, stellte fest, daß der transparente Unterboden unter seinem Gewicht leicht nachgab und schaute eintausend Fuß in die luftige Tiefe hinab. Noch nie zuvor hatte er sich im Inneren eines Tempels derart nahe an der Ewigkeit befunden.
Namalee drehte sich, ein fremdartiges Lied singend, um und nahm die Schachtel auf. Darunter stand eine etwa einen Fuß hohe, aus elfenbeinfarbenem Material geschnitzte Figur mit roten, grünen und schwarzen Flecken. Sie war halb Wal, halb Mensch und kombinierte ein tierisches Gesicht mit einem bis zur Hüfte reichenden menschlichen Torso, der dort, wo sich Beine hätten befinden sollen, in den Schwanz eines Wals auslief. Die Figur strömte einen Geruch aus, der süß, angenehm und – Ismael war sich dessen sicher – auch berauschend war.
Er hatte genug Shahamchiz getrunken, um beim Gehen ein wenig zu wanken, aber als er den Duft roch, den die Figur ausströmte, fühlte er, wie seine Sinne schwanden, und fiel kurz darauf flach auf das Gesicht. Innerhalb weniger Sekunden wußte er von nichts mehr.
Als er erwachte, lag er auf dem Boden und schaute mehrere Meilen tief auf die unter ihm liegenden Seen hinab, und als es ihm endlich gelang, sich stöhnend aufzurichten, stellte er fest, daß er allein war. Sein Kopf schmerzte, als hätte ihn jemand mit einem Hammer bearbeitet oder als habe der Urvater aller Kater ihn aufgesucht, um ihm zu zeigen, welche gewaltigen Schmerzen der Kopf Adams hatte aushalten müssen.
Die Schachtel befand sich wieder über dem Götzen. Die Rückstände des süßen, berauschenden Geruchs hatten sich noch immer nicht verflüchtigt.
Ismael taumelte in seine Koje, legte sich hin und schlief ein.
Als er aufwachte, wollte er nach dem Duftstoff und dem durch ihn hervorgerufenen Effekt Erkundigungen einholen, fand aber niemanden, der Zeit genug gehabt hätte, mit ihm zu reden. Das ganze Durcheinander an Bord und das Hin und Her von Befehlen beruhte auf der Tatsache, daß man eine Walherde ausgemacht hatte. Der Kapitän hatte entschieden, daß sie ihre Rückreise unterbrechen mußten, um sich auf Nahrungsjagd zu begeben. Andererseits würden sie verhungern, bevor sie auch nur die Nähe Zalarapamtras erreichten.
Ismael fühlte sich bereits wieder viel besser, und so fragte er, obwohl sein Unterbewußtsein ihm sagte, daß er sich närrisch verhielt, ob er an der
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