Isola - Roman
kicherte.
»Bitte noch einmal«, entgegnete Maja ruhig. »Und wenn ihr bis Sonnenuntergang auf der Insel sein wollt, dann würde ich sagen, dein nächstes ist das letzte Mal.«
Der Junge stand auf, breitete die Arme aus und sagte mit theatralischer Betonung: »Mein Name ist Joker . Und mit auf die Insel nehme ich meine Shisha , eine Flasche Wasser und meine Tante Käthe.«
»Seine Tante, wie bitte?«, murmelte Elfe. »Der Typ hat ja wohl ’nen Hau.«
Die Kamera wanderte weiter und plötzlich fühlte ich, wie ich auf diesen Moment gewartet hatte.
»Mein Name ist Solo. Und mit auf die Insel nehme ich meine Berimbau, meinen Hund Mephisto und ein persönliches Andenken.«
Seine Stimme war dunkler, als ich gedacht hatte, und als er das Andenken erwähnte, klang er scheu.
»Gut, danke, Sven.« Maja nickte dem Kameraassistenten zu. »Das war’s, dann bringe ich euch jetztzumHafen. Nur eines soll ich euch von Quint Tempelhoff noch ausrichten. Er bittet euch, nicht zu sprechen, wenn ihr auf dem Boot seid.«
»Dürfen wir singen?«
Maja beugte sich über den Tisch und legte Joker den Finger vor das Ziegenbärtchen. »Ihr sollt schweigen.«
Vier
WIR SASSEN alle in einem Boot.
Noch heute denke ich oft an diese seltsame Unzeit auf offenem Meer; diese surrealen Stunden zwischen den Welten und zwischen den Wirklichkeiten. Während unsere Abfahrt von Angra dos Reis, der sogenannten Bucht der Könige, mit den Millionärsvillen in den grünen Hügeln, den teuren Jachten im Hafen und dem hässlichen Kernkraftwerk nur noch ein blasser Fleck in meiner Erinnerung ist, hat sich das Bild von uns im Boot tief in mich eingebrannt. Hier waren wir, zwölf Jugendliche und ein pechschwarzer Hund, Tempelhoffs Besetzung für die Insel. Schweigend, wie Tempelhoff es angeordnet hatte, saßen wir auf den dunkelgrün gestrichenen Holzbänken des kleinen Schoners.
Aber je weiter der Führer das Boot ins offene Meer hinauslenkte, desto stärker drängten sich Zweifel und Ängste auf. Ich konnte sie lesen – auf allen Gesichtern. Wen würden wir spielen, welche Rollen würden wir haben, Hauptfigur oder Nebendarsteller – wer würden wir auf dieser Insel sein? Was war unser Plot, was war unsere Bestimmung? Es gab keine Rollenverteilung, keine ausgewählten Helden oder Bösewichter. Wir waren die Macher unseres eigenen Films, wir selbst würden die Handlung entwerfen und damit auch die Rollen, die wir auf der Insel spielen würden. Wieder wurde mir bewusst, dass wir unseren Regisseur nicht einmal zu Gesicht bekommen würden. Das war Erikas Hauptsorge gewesen, als sie mich mit Bernhard zu dem letzten Vorgespräch begleitet hatte. Tempelhoff hatte ihr mit ruhiger Stimme versichert, dass sie ihm vertrauen könnte, dass wir ihm vertrauen könnten – er war schließlich einer der namhaftesten Regisseure Deutschlands, der einen hohen Ruf zu verlieren hätte, wenn er sich auch nur den kleinsten Fehler erlauben würde – gerade bei einem solchen Projekt.
Vertrauten wir ihm? Vertraute ich ihm?
Ich wusste es nicht, ich wusste es immer weniger, je weiter wir uns vom Festland entfernten.
Der Himmel über uns war blau, ein strahlendes, ungetrübtes, tiefes Blau. Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt längst verlassen und die Oberfläche des Meeres war ein einziges Funkeln und Strahlen. Links und rechts des Bootes zischte die Gischt empor, weiße Schaumkronen leckten an dem hölzernen Rumpf des Schoners und die weißen Segel flatterten wie große Vögel im Wind. Wir passierten winzige Inseln mit traumhaften, von Palmen gesäumten Stränden – Postkartenparadiese, die noch zu den Königsinseln von Angra gehörten und von Stars und Millionären bereist wurden.
Aber irgendwann umgab uns nur noch die endlose Weite des Ozeans.
Ich saß abseits von der Gruppe, ganz hinten im Boot, und blickte zurück, bis mich Elfes heller Ausruf herumfahren ließ.
Und da sah ich am Horizont die Insel.
Fünf
E r hatte die ganze Nacht nicht schlafen können. Seit fünf Tagen war er jetzt hier und die Zeit verging immer zähflüssiger. Wieder und wieder hatte er die Verbindung zu den Kameras überprüft, um sich davon zu überzeugen, dass alles funktionierte –und das tat es. Sogar seine Sorge, dass er sein Handy nicht benutzen konnte, hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Es gab Strom, eine Netzverbindung, er hatte genügend Verpflegung und er hatte alles im Blick, was er im Blick haben musste. Aber er wurde von Stunde zu Stunde unruhiger und die Zweifel nagten mit
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