Isola - Roman
Fangarme aus dem dunklen Schlamm in die Höhe ragten.
Als Vera den Kopf hob, konnte er ihr direkt in die Augen sehen. Hellgrüne Katzenaugen, wach und skeptisch. Was sie wohl dachte?
»Das«, sagte er leise zu sich selbst, »das werden mir nicht mal die Kameras verraten.«
»HEY!« Eine helle Stimme ließ mich zusammenzucken.
»Hey, du, Vera!«
Es war Milky. Er stand zwischen den Bäumen am Ufer und winkte mir zu. »Elfe hat mich geschickt, ich soll dich holen. Komm, gleich geht die Sonne unter.«
Zögernd folgte ich Milky durch den grünen Vorhang aus Palmen und Mangroven und hatte noch keine zehn Schritte getan, als sich vor mir ein großes, kreisrundes Grundstück eröffnete. Ein Duft nach Jasmin und reifen Mangos zog mir in die Nase, über meinem Kopf ertönte der schrille Schrei eines Vogels und vor mir lag ein tropischer Garten, mit üppigen Farnen, Obstbäumen, blühenden Büschen und unzähligen Blumen. In seiner Mitte war unsere Unterkunft: drei durch breite Holzstege miteinander verbundene Häuser. Das mittlere war das größte, es war rund, während die anderen beiden Häuser achteckig waren. Gebaut waren sie alle aus Bambus und hatten regenschirmförmige Dächer aus Stroh. Ein viel zu schöner Ort für die Sträflingsresozialisierungen, schoss es mir plötzlich durch den Kopf, aber vielleicht hatten auch hier Tempelhoffs Designer etwas verändert.
Hinter dem Grundstück setzte sich das Dickicht der Urwaldbäume fort. Ich versuchte, ein Gefühl für die Größe unserer Insel zu bekommen. Vom Boot aus hatte sie sehr klein ausgesehen, kaum größer als ein Park, und als ich mich noch einmal umdrehte, konnte ich zwischen den Palmen das Meer sehen. Es hatte eine eigenartige, fast magische Farbe, ein leuchtendes Lila, in dem sich die goldenen Flecken der untergehenden Sonne spiegelten. Nur die Wellen, die gemächlich an den Strand schwappten, waren weiß wie Schaum.
»Das reinste Baccardi Feeling, was?« Milky zwinkerte mir zu. Er strich sich seine langen Rastalocken aus der Stirn und pfiff das Lied aus der Kinowerbung, aber gleich darauf hielt er inne und sah sich zögernd um. »Sorry – das war jetzt Schleichwerbung«, bemerkte er mit einem unsicheren Grinsen. Ich hob eine Mango auf, die neben mir am Boden lag. Ihre grüne Schale war an einer Seite geplatzt, und als ich die Frucht leicht zusammendrückte, tropfte mir der orangegelbe Saft auf die Finger. Mit geschlossenen Augen leckte ich die klebrigen Tropfen ab. Als sich der süße Geschmack auf meine Zunge legte, jagte ein Bild durch meinen Kopf: Ich sah einen Mann vor einer riesigen Müllkippe, dunkle Haut, weißes, krauses Haar, im geöffneten Mund ein einziger Zahn, auf der ausgestreckten Hand eine aufgeschnittene Mango, in der anderen Hand ein Messer. Ich hörte sein Lachen, keckernd wie ein alter Ziegenbock, ich vernahm seine Stimme, come Gathina – iss, kleines Kätzchen …
Ich presste die Augen noch fester zu, aber das Bild verschwand nicht, wie ein Blitz war es in mich eingeschlagen. Benommen riss ich die Augen wieder auf, sah mich um und rang so unauffällig wie möglich nach Luft. Ich roch Schweiß – meinen Schweiß.
»Hey, bist du okay?« Milky legte mir seine Hand auf den Arm. Ich nickte, aber meine Hand zitterte immer noch.
»Das ist eine Mango«, sagte Milky, »die kannst du ruhig essen, die ist nicht giftig.«
»Ach so«, erwiderte ich, dankbar, dass er meine Reaktion so gründlich missverstanden hatte. Aber die Mango legte ich trotzdem zurück und folgte Milky zu den Häusern.
»Auf dieser Seite sind wir untergebracht«, sagte er und zeigte auf das rechte Holzhaus, neben dem ein gut fünf Meter hoher Baum mit ausladenden, grün bewachsenen Zweigen stand. Die riesigen gelben Früchte wuchsen direkt an seinem Stamm und sahen aus wie gelbe Igel.
»Das ist Jackfrucht«, erklärte mir Milky. »Das Zeug schmeckt nach Bananen, aber wenn uns so ein Teil aufs Dach fällt, möchte ich mein Bett lieber nicht drunter haben. Das da«, Milky zeigte auf das große Haus in der Mitte, »ist das Haupthaus und links seid ihr.« Er winkte mir zu und wandte sich nach rechts. »Also, dann bis später.«
Ich ging auf das linke Haus zu. Die Eingangstür wurde zur Hälfte von einem blühenden Goldregen verdeckt. Die sattgelben Blüten hingen fast bis zum Boden. Eins der Fenster stand offen. Ein weißer Vorhang wehte mir entgegen, während sich die Abenddämmerung immer tiefer über das Grundstück legte und den Farben ihre Kraft entzog. Ich
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