Isola - Roman
etwas anderes. Ich roch Schweiß und ich hörte ein Keuchen, unterdrückt und verzweifelt.
Und dann löste sich eine Gestalt aus der Dunkelheit. Das Licht ging an und aus Solos Kehle drang ein erstickter Laut. In der Ecke des Zimmers saß Quint Tempelhoff –und vor uns stand Solos Ebenbild.
Die Ähnlichkeit war so frappierend, dass es fast schon surreal war, als würde man dieselbe Person doppelt sehen. Solo schien so schockiert zu sein, dass er seinen Vater gar nicht wahrnahm. Selbst der Fremde schien um Fassung zu ringen, als er Solo in Augenschein nahm. Er rieb sich die Hände an den Beinen seiner Jeans – derselben ausgeblichenen Jeans, die auch Solo trug. Er setzte ein Lächeln auf, ein gezwungenes, fast klägliches Lächeln und in seiner bemüht lässigen Stimme vernahm ich das unterschwellige Zittern jetzt noch deutlicher als zuvor. »Ungemütlich draußen, nicht wahr? Ihr seid ja bis auf die Haut durchnässt. Aber wie versprochen, der Kaffee ist fertig. Milch und Zucker?« Der Fremde musterte uns und sein Lächeln wirkte immer verzerrter. »Was stelle ich für Fragen – ich weiß es ja.« Er nickte kurz zu dem Laptop rüber, neben dem eine Wasserflasche mit einer welken Orchidee stand. »Wenn ich mich richtig erinnere, nimmt Vera Milch und keinen Zucker, Solo mag es schwarz und süß. Vier Stücke, richtig?«
Der Fremde drehte sich zu einer Anrichte um und Quint Tempelhoff hob die Hände, doch er ließ sie kraftlos wieder sinken, als Solo in den Raum schrie: »Was zum Teufel ist hier los?«
Mephisto, der neben Solos Vater stand, zog den Schwanz ein. Ich ertappte mich bei der Frage, ob dieser Hund in seinem Leben schon einmal jemanden angefallen oder auf das Wort »Fass« reagiert hatte. Er sah nicht so aus.
»Immer mit der Ruhe«, sagte der Fremde. Ich schluckte. Warum kam es mir so vor, als wären diese Worte nicht nur an uns gerichtet? Warum kam es mir so vor, als wäre vor allem er derjenige, der mit einer verzweifelten Nervosität kämpfte? Mit zwei dampfenden Tassen in der Hand wandte sich der Fremde wieder zu uns. »Hab ich mich schon vorgestellt? Ich bin Tobias. Tobias Tempelhoff Liebermann. Dein kleiner Bruder. Ich wurde siebenundzwanzig Minuten nach dir geboren.«
Für einen winzigen Moment stand alles still. Jede Bewegung im Raum erstarrte, als hätte jemand ein Bild eingefroren. Der Regisseur auf seinem Stuhl, Mephisto vor ihm auf dem Fußboden, Solo mit offenem Mund, der andere mit den dampfenden Tassen in der Hand. Kaffee. Ich roch das dunkle, tiefe Aroma des Kaffees und dann räusperte sich Solos Gegenüber. Er straffte die Schultern, machte einen Schritt auf Solo zu – und Solo holte aus. Mit einer einzigen Bewegung schlug er dem anderen beide Tassen aus den Händen. Der heiße Kaffee spritzte durch die Luft und die Tassen landeten scheppernd am Boden, die eine zersprang, die andere blieb heil, rollte ein Stück über den Boden und blieb neben dem Stuhl des Regisseurs liegen.
»Ich habe keinen Bruder«, schrie Solo. »Was soll das, wer bist du? Was hast du mit meinem Vater gemacht? Was tust du hier … was ist hier verdammt noch mal los?«
Quint Tempelhoff saß noch immer starr in seinem Stuhl. Seine Brust hob und senkte sich in rasendem Tempo, aber er sagte keinen Ton und rührte keinen Finger. Für einen Moment überlegte ich, ob er gefesselt war, aber es kam mir so vor, als sei das gar nicht nötig. Er wirkte wie betäubt.
Solo machte einen weiteren Schritt auf diesen Mann zu, der sich sein Bruder nannte und der jetzt mit einer unmissverständlichen Bewegung in die Taschen seiner Jeans griff. Ein Klappmesser schnellte hervor und Solo zuckte entsetzt zurück.
Das Gesicht von Solos Bruder zuckte ebenfalls, es war wie ein Reflex.
»Du willst wissen, was hier los ist?« Er strich sich eine Strähne aus der Stirn. Mein Gott, wie ähnlich er Solo sah. Die dunklen Haare, das schmale Gesicht, die hohe Stirn. Nur das Flackern in seinen Augen war anders und dann war da noch etwas, das ihn umgab. Ich konnte es nicht benennen, es war eine Energie, vielleicht lag sie auch in seinen Bewegungen, die mir wendiger vorkamen, oder an seinem Körper, der irgendwie aussah, als hätte er mehr erlebt.
Tobias Blick streifte mich, nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann fixierte er wieder Solo. »Du wirst erfahren, was hier los ist«, sagte er leise. »Deswegen sind wir ja schließlich hier.«
Er drehte sich zu Quint Tempelhoff um, der jetzt alles andere als schillernd aussah. Seine Haut war fahl
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