Issilliba - Aaniya, das Mädchen, das mit den Fliegen sprechen konnte (German Edition)
Wetter gab, fragte sich Bea und lenkte ihre Schritte den Bürgersteig entlang Richtung Bushaltestelle.
Als sie nicht mehr weit von ihrem Ziel entfernt war, flog ganz nahe an ihrem Gesicht eine Fliege vorbei.
Wie es wohl wäre, wenn sie mit diesem kleinen Tierchen sprechen konnte? Und schon waren Beas Gedanken wieder in Issilliba, im Sommer, in der Wärme. Plötzlich schreckte sie ein lautes Quietschen auf. Sie stand einen Schritt weit in der Straße und vor ihr hielt ein schwarzes Auto. Die Fahrertür der Limousine ging auf und ein älterer Mann mit Halbglatze stieg aus. „Mensch, können Sie nicht aufpassen?“, fauchte der Unbekannte, der einen grauen, wollenen Mantel trug. Um seinen Hals hatte er ein edles, bordeauxrotes Halstuch gewickelt.
„Ich - ich habe Sie gar nicht gesehen“, stammelte Bea entsetzt. Ihr Herz klopfte laut gegen ihre Brust.
„Das gibt es doch nicht“, schimpfte der Mann weiter und stieg wieder in seinen Wagen. Er fuhr los.
Bea starrte hinter ihm her, dann überquerte sie die Straße und stellte sich an die Bushaltestelle, die sich langsam füllte. Wieso hatte sie das Auto nicht gesehen? Ja, sie war mit ihren Gedanken bei Aaniya gewesen, aber normalerweise hätte sie doch dieses Auto sehen müssen. Bea nahm sich vor, sich wieder mehr auf ihre Welt zu konzentrieren.
Doch während dem langen Arbeitstag musste sie feststellen, dass es verdammt schwer war, nicht wieder mit ihren Gedanken abzudriften. Immer wieder tauchten Erinnerungsfetzen aus den beiden letzten Träumen vor ihren Augen auf. Sie piekte sich beim Nähen öfter in die Finger als gewöhnlich. Beinahe hätte sie sich sogar mit der Schere geschnitten.
Am Abend dann ging Bea genauso zeitig Schlafen wie gestern. Sie machte ihre Entspannungsübungen, aber egal wie viel Mühe sie sich gab, sie konnte den kleinen hellblau leuchtenden Punkt nicht finden. Stunden lang meditierte sie - ohne Erfolg. Verbittert schlief sie irgendwann ein.
Am folgenden Morgen war ihre Unaufmerksamkeit noch größer als am vergangenen Tag. Sie war unruhig. Warum hatte sie Aaniya nicht besuchen können. Würde das so bleiben? Sollte das wirklich alles gewesen sein? Bea wollte es nicht glauben. Sie musste wieder in diese wundervolle Welt zurück. Irgendwie. Koste es was es wolle. Sie konnte es kaum abwarten, bis es wieder Abend war.
In der Arbeit zeigte sich Beas geistige Abwesenheit dadurch, dass sie Unmengen von Nähten auftrennen musste.
Nach einem kurzen Abendessen war Bea am Verzweifeln. Auch diese Nacht war es ihr nicht vergönnt, den Eingang nach Issilliba zu finden. Sie wurde noch unruhiger als schon zuvor und konnte kaum schlafen. Am folgenden Tag unterliefen ihr ein paar ziemlich grobe Fehler in der Arbeit. Sie hatte noch nie zuvor den Zuschnitt versaut - außer am Anfang ihrer Lehrzeit, aber das war schon fünf Jahre her. Bea war ziemlich schlecht drauf, als sie sich nach einem schnellen Salamibrot den Schlafanzug anzog und sich dann ins Bett legte. Wieder und wieder ging sie ihre Körperteile durch und ließ sie schwer werden: den Kopf, die Arme, den Oberkörper, den Bauch und die Beine. Irgendwann stellte sich das kribbelnde Strömen ein, auf das sie so sehnlich wartete. Wenig später schimmerte auf einmal der kleine, bläuliche Punkt durch die Dunkelheit. Innerlich jubelnd eilte Bea auf ihn zu und plötzlich war sie Aaniya. Aaniya in Issilliba.
Aaniya suchte sich einen Weg durch den dschungelartigen Wald. Es war nicht irgendein Wald, sondern der Wilde Wald, den niemand betrat, weil er eben wild war. Es gab keine Wege, und es gab auch fast kein Licht unter dem zugewachsenen Blätterdach. Der Waldboden war überdeckt mit Farnen und niedrigem Gestrüpp, und man hatte Mühe damit, sich durch die überall von den eng stehenden Bäumen herunterhängenden Wurzeln und Ranken zu kämpfen.
„Wie weit ist es noch, Emma? Mir geht langsam die Kraft aus“, stöhnte Aaniya und wischte sich mit dem erdverschmierten Handrücken über die schweißnasse Stirn.
„Du machst dich dreckig“, piepste Emma. „Es dauert nicht mehr lange. Nur noch zwei Stunden.“
„Zwei Stunden?“, rief Aaniya entsetzt. „Durch diesen Dschungel?“
„Die Königin der Fliegen möchte im Verborgenen leben. Wenn es so einfach wäre, zu ihr zu gelangen, hätte sie bald keine Ruhe mehr“, entgegnete Emma. „Komm, reiß dich zusammen.“
„Du hast leicht reden. Du sitzt die meiste Zeit auf mir herum und lässt dich tragen. Außerdem kannst du fliegen und du bist
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