Issilliba - Aaniya, das Mädchen, das mit den Fliegen sprechen konnte (German Edition)
einen Zettel schreiben würdest. Unsere Reise könnte länger dauern.“
Völlig verwirrt starrte Aaniya das kleine Insekt an, das auf ihrem Lieblingsschmuckstück hin und her marschierte.
„Verrückt“, murmelte sie und schüttelte ihren Kopf. „Vollkommen verrückt.“
Leise stand sie auf und zog sich an.
„Wieso kannst du mit mir sprechen? Und was hast du mit Neuigkeiten über meinen Vater gemeint? Weißt du etwas über seinen Tod?“, fragte sie, während sie in eine weiße Bluse und eine bequeme , hellbraune Hose schlüpfte.
„Das sind Geheimnisse, die dir nur unsere Königin verraten kann“, entgegnete Emma und flog auf Aaniyas Schulter . Überrascht von so viel Zutraulichkeit warf Aaniya Emma einen verdutzten Blick zu.
„Können wir gehen?“, drängte Emma.
Aaniya schüttelte abermals den Kopf, bevor sie sich die kunstvoll gearbeitete Schmuckspange über das linke Handgelenk streifte und auf Zehenspitzen aus dem Zimmer hinunter in die Küche schlich. Schnell schrieb sie noch irgendetwas von einer unvorhergesehenen Handelsreise auf ein Stück Papier - die Wahrheit hätte ihr sicher keiner abgenommen - dann steckte sie einen halben Laib Brot und etwas Käse in ihren Rucksack, in dem sich von der letzten Wanderung noch eine wollene Decke und ein Messer befanden. Dann schnürte sie den Stoffbeutel zu und warf ihn sich über die fliegenfreie Schulter. Mit gemischten Gefühlen verließ sie mit ihren Lederstiefeln in der Hand das Haus. Es war noch sehr dämmrig. Aaniya zog sich die Schuhe an und ging dann rasch über den verlassenen Hof. Niemand begegnete ihr. Das ganze Dorf schlief still und friedlich. Bald hatte Aaniya die kleine Ansammlung an Steinhäuschen hinter sich gelassen.
„Kannst du mit allen Menschen sprechen?“, fragte Aaniya ihre kleine Begleiterin, als sie außer Hörweite waren.
„Ich kann schon mit ihnen sprechen, aber sie hören mich nicht“, entgegnete Emma mit ihrer hohen, piepsigen Stimme. „Eigentlich schade.“
„Und wieso kommst du erst jetzt zu mir, warum nicht schon eher?“
„Nun, vorher warst du noch nicht bereit für die große Aufgabe, die dir unsere Königin anvertrauen will. Aber frag mich nicht weiter, mehr darf ich dir nicht sagen“, erklärte Emma und flog auf Aaniyas Kopf.
Schweigend wanderten die beiden in Richtung Süden, über saftige Wiesen, vorbei an zahlreichen Kornfeldern, die schon bald abgeerntet werden konnten, und vorbei an den vielen Seen und Teichen, die es hier in Issilliba überall gab. Nach einiger Zeit erschien am östlichen Horizont ein zarter, rosafarbener Schimmer, der eine prächtige Morgenröte ankündigte. Aaniya wusste, dass es bis zum Wilden Wald noch ein weiter Weg war und erhöhte ihr Schritttempo. Was würde sie über ihren Vater herausfinden, wenn sie der geheimnisvollen Königin begegnen würde, und was war das für eine Aufgabe, die auf sie wartete?
Irgendwann, als Aaniya und Emma den x-ten See umrundet hatten, piepste wieder der Wecker.
Während Bea im Halbschlaf nach dem Verursacher des Lärms tastete, fragte sie sich wütend, wieso sie noch immer d ieses uralte Gerät besaß, dessen Töne einem schon ganz in der Früh den Tag versauten. Dennoch war sie besser gelaunt als gestern. Immerhin hatte sie es geschafft nach Issilliba zu kommen. Bestimmt würde es ihr heute Abend wieder gelingen. Sie raffte sich auf und öffnete den Rollladen - und zwar leise, damit sich die anderen Mieter nicht beschweren konnten. Aber die meisten ihrer Hausmitbewohner mussten genauso früh aufstehen wie sie. Alle hatten Arbeitszeiten, die irgendwie überhaupt nicht in den menschlichen Rhythmus passten: entweder schon sehr früh am Morgen oder dann erst spät in der Nacht.
In der Küche richtete sich Bea gedankenverloren ihr Pausenbrot her. Wieder und wieder sah sie dabei die kleinen, im Sonnenlicht schimmernden Teiche und Tümpel in ihrem Kopf, um die Aaniya jetzt mit ihrer winzigen Begleiterin herumwanderte. Als sie sich erwischte, wie sie die Butter in den Schrank zu den Tellern und Gläsern stellen wollte, anstatt in den Kühlschrank, fuhr sie zusammen. „So ein Quatsch“, meinte sie gereizt. „Das ist ein Traum und Träume gehen nicht weiter, die warten, bis man sie weiter träumt.“
Wenig später trat Bea hinaus in den nebligen Morgen. Es war noch ziemlich düster und die Straßenlaternen warfen ihr künstlich grelles Licht auf den grauen, nassen Asphalt.
War es eigentlich normal, dass es im September schon so beschissenes
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