Issilliba - Aaniya, das Mädchen, das mit den Fliegen sprechen konnte (German Edition)
Streck deinen Finger auch so aus wie ich.“
Angestrengt machte Baby Jada ihren winzigen Zeigefinger lang, während Aaniya sich ihr mit der Fliege näherte. Als sich die beiden Schwestern an den Fingerspitzen berührten, hielten sie sehr, sehr still und warteten. Doch Emma bewegte sich nicht. Eben wollte Aaniya ihren Finger schon wieder zurückziehen, da schien die Fliege endlich ihre Furcht zu überwinden. Mit ihren vielen Füßchen kletterte Emma geschwind von Aaniyas Finger hinüber auf Baby Jadas. Aaniyas kleine Schwester fing herzlich an zu lachen, und schwups, war die Fliege davongeflogen.
Als Aaniya am Abend in ihrem Bett lag und hinüber zu Ben blickte, der mit ihr in einem Zimmer untergebracht war, dachte sie an ihre Laterne. Sie war stolz, dass sie endlich dahinter gekommen war, wie das Handwerk funktionierte. Zumindest zu einem kleinen Teil. Sie fragte sich, weshalb sie ihrem Vater nicht öfter zugesehen hatte oder weshalb sie ihn nicht gefragt hatte, damals, als er noch gelebt hatte. Es waren jetzt fast zwei Jahre vergangen, seitdem er nicht mehr von einer seiner Wanderungen in die Sigral-Berge zurückgekehrt war. Oft hatte er am Fuß des Gebirges nach edlen Steinen gesucht, aus denen er dann in der Schmiede kostbaren Schmuck hergestellt hatte. Doch die Gegend dort war verflucht, sagten die Legenden: Die Sigral-Berge trennten Issilliba von Zudromo, dem Nachbarland. Niemand konnte dorthin gelangen, weil das Gebirge angeblich nicht zu überqueren war. Und das war auch gut so, fand Aaniya, denn auf der anderen Seite sollten sich alle möglichen eigenartigen Kreaturen aufhalten. Riesen, Zwerge, ja sogar Drachen.
Vielleicht hatte ihr Vater ja versucht , über die Grenze zu gelangen. Er war schon immer ein klein wenig Abenteurer gewesen.
Kurz bevor Aaniya einschlief, wanderten ihre Gedanken zu Emma, der Fliege, die am Mittagstisch so zutraulich auf ihre Hand gekommen war. Würde sie das Tierchen wiedersehen?
Die Königin der Fliegen
A aniya brauchte nicht lange auf den erhofften Besuch warten. Am Morgen, noch als es ziemlich dunkel im Zimmer war, wurde sie von einem leichten Kitzeln an ihrer Nase geweckt. Fast noch im Schlaf wedelte sie mit ihrer Hand vor ihrem Gesicht herum. Doch die Fliege gab nicht auf. Immer wieder ließ sie sich auf Aaniya nieder.
„Emma, lass das“, murmelte sie und setzte sich schließlich auf. Emma flog davon. Aaniya wusste nicht, ob diese Fliege tatsächlich dieselbe von gestern war, aber für sie hießen jetzt all diese Insekten einfach Emma.
Aaniya blickte aus dem Fenster. Da der Sommer soeben seinen Höhepunkt erreicht hatte, wurde es jetzt schon kurz nach vier Uhr draußen wieder heller. Der noch tiefblaue Morgenhimmel war wie in den letzten Tagen wolkenlos.
„Aaniya!“, hörte sie eine leise, aber sehr hohe Stimme.
Sie fuhr herum. Niemand war da, außer natürlich Ben, der friedlich in seinem Bettchen schlief.
Vielleicht hatte sie sich die Stimme nur eingebildet, dachte Aaniya und zog die Bettdecke höher.
„Aaniya!“
Da war sie wieder. Die fast unhörbare Stimme.
Die Fliege erschien wie aus dem Nichts und setzte sich auf Aaniyas Kopf. Schon wollte Aaniya das Tierchen wieder verscheuchen, da hielt sie wie versteinert inne. „Aaniya!“
Konnte es sein, dass Emma sprechen konnte?
Aaniya konzentrierte sich auf die Fliege, die munter auf ihrem blonden Schopf herumkrabbelte.
„Aaniya, steh auf! Ich möchte dir etwas Wichtiges zeigen“, piepste das Insekt.
Beinahe wäre Aaniya aus ihrem Bett gefallen.
„Steh auf und komm “, erklang die hohe Stimme über ihr. „Ich bringe dich zu unserer Königin - sie hat Neuigkeiten über deinen Vater.“
Aaniya bewegte sich nicht. Das konnte doch nicht wahr sein. Fliegen, die sprechen konnten, noch dazu mit einer Königin. Und wieso wussten sie etwas über ihren Vater?
„Komm, steh auf!“
Langsam, ganz langsam streifte Aaniya sich die Decke von den Beinen und setzte sich auf. Emma flog hinüber zu dem kleinen Nachttisch, auf dem Aaniyas wichtigste Erinnerung an ihren Vater lag: eine goldene Armspange mit einem orangegelb funkelnden Edelstein, der von sieben strahlenförmigen Metallarmen in einer Kreismitte gehalten wurde.
„Wo gehen wir hin?“, flüsterte Aaniya und kam sich dabei ziemlich dumm vor. Sie war keineswegs davon überzeugt, dass Emma sie verstehen konnte. Doch tatsächlich bekam sie eine Antwort: „Wir müssen weit nach Süden in den Wilden Wald. Es wäre besser, wenn du deiner Mutter
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