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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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hineinleuchtet u.s.w. In diesem Fach liegen alte Papiere die ich längst weggeworfen hätte wenn ich einen Papierkorb hätte, Bleistifte mit abgebrochenen Spitzen, eine leere Zündholzschachtel, ein Briefbeschwerer aus Karlsbad, ein Lineal mit einer Kante, deren Holprigkeit für eine Landstrasse zu arg wäre, viele Kragenknöpfe, stumpfe Rasiermessereinlagen (für die ist kein Platz auf der Welt), Krawattenzwicker und noch ein schwerer eiserner Briefbeschwerer. In dem Fach darüber –

    Der hier abgebildete Schreibtisch – sehr wahrscheinlich derselbe, den Kafka mit 27 Jahren im Tagebuch beschrieb – wurde nach seinem Tod von der Schwester Ottla übernommen und befindet sich noch heute im Besitz der Familie. In den sechziger Jahren identifizierte Max Brod ihn als denjenigen Kafkas. Lediglich ein Abschlussbogen über dem erhöhten Mittelstück des Aufsatzes fehlt.
    Die Beschreibung des Tisches war von Kafka offenkundig als literarischer Text konzipiert. Denn unmittelbar nach Abbruch notierte er:
Elend, elend und doch gut gemeint. Es ist ja Mitternacht, aber das ist, da ich sehr gut ausgeschlafen bin, nur insoferne Entschuldigung als ich bei Tag überhaupt nichts geschrieben hätte. Die angezündete Glühlampe, die stille Wohnung, das Dunkel draussen, die letzten Augenblicke des Wachseins sie geben mir das Recht zu schreiben und sei es auch das Elendeste. Und dieses Recht benütze ich eilig. Das bin ich also.

30
    Die erste Postkarte
Klein-Ella wie schaust Du denn aus, ich habe Dich schon so völlig vergessen als hätte ich Dich nie gestreichelt. Besten Gruß
 
Dein
Franz.

    Kafka war 17 Jahre alt, als er diese Postkarte schrieb, die Adressatin, seine Schwester Gabriele, genannt Elli oder Ella, erst elf Jahre. Es ist die früheste postalische Mitteilung, die von Kafkas Hand erhalten ist: laut Poststempel vom 21. Juli 1900. Abgeschickt wurde sie aus dem Dorf Triesch (heute Třešt’) in Mähren, wo Kafka als Schüler und Student regelmäßig einen Teil der Sommerferien bei einem Onkel verbrachte, dem Landarzt Siegfried Löwy. Die Anschrift der Postkarte lautet: »Herrn / Hermann Kafka / für Fräulein Ella Kafka / Prag / Zeltnergasse N° 3«.
    Bemerkenswert ist die frühe Karte vor allem, weil sie bereits eine literarische Anspielung enthält: »Klein-Ella« ist der Titel einer Prosaskizze von Peter Altenberg, veröffentlicht 1897 in dem Band Ashantee . Ob Kafkas Schwester etwas damit anzufangen wusste, ist allerdings fraglich. Denn Altenbergs Ashantee , dessen Schutzumschlag die Fotografie zweier barbusiger schwarzer Mädchen zeigte, war ein Buch, das in den Händen von Gymnasiasten höchst ungern gesehen wurde und das die Kafkas wohl kaum auf dem Schreibtisch ihres Sohnes, geschweige denn im ›Mädchenzimmer‹ geduldet hätten. In Kafkas Nachlass hat sich der Band nicht erhalten.

31
    Kafka und die Indianer
    Zu Kafkas Lieblingslektüre zählten ›Schaffsteins Grüne Bändchen‹: schmale Hefte, die überwiegend Erinnerungen und Reiseberichte enthielten, häufig Auszüge aus umfangreicheren Werken.
    Klara Thein (1884–1974), eine Prager Zionistin, hat bezeugt, dass Kafka diese Bändchen auch bei Spaziergängen mit sich führte. Sie erinnerte sich noch im hohen Alter an eine Begegnung, bei der Kafka ihr die Schilderung einer Reise zu den Indianern des Amazonasgebiets zeigte und am Ende des Gesprächs auch schenkte. »Ich interessiere mich für Indianer«, soll er dabei geäußert haben.
    Es handelte sich um einen Auszug aus Karl von den Steinens ethnologischem Standardwerk Unter den Naturvölkern Zentralbrasiliens , in dem der Verfasser seine zweite Xingu-Expedition von 1887/88 schildert. Das ›Grüne Bändchen‹, das Kafka las, erschien 1912 unter dem Titel Bei den Indianern am Schingu und enthielt auch einige Zeichnungen.
    Kafka kannte Indianer gewiss aus seiner Jugendlektüre und aus dem Kino. Sein kurzes Prosastück Wunsch, Indianer zu werden , das in dem Band Betrachtung veröffentlicht wurde, visualisiert den Indianer als perfekten Reiter:
Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.
    Hier standen ihm offenbar die Indianer Nordamerikas vor Augen, die seit dem 17. Jahrhundert

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