Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
sie engagiert blieben, wie etwa dem Hausarzt der Familie Kafka, Dr. Heinrich Kral. Dass er in den letzten Wochen seines Lebens einem ganzen Konsilium von Ärzten ausgeliefert war und auch hochwirksame Schmerz- und Betäubungsmittel nicht mehr vermeiden konnte, empfand er hingegen als schwere Kränkung.
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Kafka hält nichts vom Impfen
Im April 1911 lernte Kafka während einer Dienstreise in Nordböhmen den fanatischen Naturheilkundler Moriz Schnitzer kennen. Aus Brods Notizen geht hervor, dass Kafka äußerst beeindruckt war. »Freitag nachmittag besuchte er mich, erzählt sehr hübsche Dinge von der Gartenstadt Warnsdorf, einem ›Zauberer‹, Naturheilmenschen, reichen Fabrikanten, der ihn untersucht, nur den Hals im Profil und von vorn, dann von Giften im Rückenmark und fast schon im Gehirn spricht, die infolge verkehrter Lebensweise entstanden seien. Als Heilmittel empfiehlt er: bei offenem Fenster schlafen, Sonnenbad, Gartenarbeit, Tätigkeit in einem Naturheil-Verein und Abonnement der von diesem Verein, respektive dem Fabrikanten selbst, herausgegebenen Zeitschrift. Spricht gegen Ärzte, Medizinen, Impfen.«
Kafka hielt sich beinahe lebenslang an diese Ratschläge, abonnierte tatsächlich das in Warnsdorf erscheinende Reformblatt für Gesundheitspflege und dachte allen Ernstes daran, in Prag einen Naturheilverein zu gründen. Aus einer Spendenliste des Reformblatts vom Juni 1911 (Heft 172, siehe Abbildung) geht hervor, dass sich Kafka bei seinem Besuch auch von Schnitzers Propaganda gegen den ›Impfzwang‹ überzeugen ließ: Er spendete zwei Kronen. Auf seiner eigenen militärischen Einberufungskarte von 1915 sind keine Impfungen eingetragen.
Ab Ende 1918 lag Warnsdorf auf dem Gebiet der neu gegründeten Tschechoslowakischen Republik. Auch dieser Staat erließ ein Gesetz, das die Pockenimpfung obligatorisch machte, wodurch sich wiederum Schnitzer veranlasst sah, seinen Abwehrkampf fortzusetzen. In Heft 276 (Juni 1920) brachte er einen Artikel ›Aus der Unheils-Chronik der Zwangsimpfung‹, der die Beschlagnahme des Reformblatts und sogar eine Interpellation im tschechischen Parlament zur Folge hatte.
Kafka dürfte diesen Konflikt mit Interesse verfolgt haben, denn das Reformblatt für Gesundheitspflege las er nachweislich noch 1924, im Jahr seines Todes.
Lesen und Schreiben
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Kafkas Schreibtisch
Jetzt habe ich meinen Schreibtisch genauer angeschaut und eingesehn, dass auf ihm nichts Gutes gemacht werden kann. Es liegt hier so vieles herum und bildet eine Unordnung ohne Gleichmässigkeit und ohne jede Verträglichkeit der ungeordneten Dinge, die sonst jede Unordnung erträglich macht. Sei auf dem grünen Tuch eine Unordnung wie sie will, das durfte auch im Parterre der alten Teater sein. Dass aber aus den Stehplätzen aus dem offenen Fach unter dem Tischaufsatz hervor Broschüren, alte Zeitungen, Kataloge Ansichtskarten, Briefe, alle zum Teil zerrissen, zum Teil geöffnet in Form einer Freitreppe hervorkommen, dieser unwürdige Zustand verdirbt alles. Einzelne verhältnismässig riesige Dinge des Parterres treten in möglichster Aktivität auf, als wäre es im Teater erlaubt, dass im Zuschauerraum der Kaufmann seine Geschäftsbücher ordnet, der Zimmermann hämmert, der Officier den Säbel schwenkt, der Geistliche dem Herzen zuredet, der Gelehrte dem Verstand, der Politiker dem Bürgersinn, dass die Liebenden sich nicht zurückhalten u.s.w. Nur auf meinem Schreibtisch steht der Rasierspiegel aufrecht, wie man ihn zum Rasieren braucht, die Kleiderbürste liegt mit ihrer Borstenfläche auf dem Tuch, das Portemonnaie liegt offen für den Fall dass ich zahlen will, aus dem Schlüsselbund ragt ein Schlüssel fertig zur Arbeit vor und die Kravatte schlingt sich noch teilweise um den ausgezogenen Kragen. Das nächst höhere, durch die kleinen geschlossenen Seitenschubladen schon eingeengte offene Fach des Aufsatzes ist nichts als eine Rumpelkammer, so als würde der niedrige Balkon des Zuschauerraumes, im Grunde die sichtbarste Stelle des Teaters für die gemeinsten Leute reserviert für alte Lebemänner, bei denen der Schmutz allmählich von innen nach aussen kommt, rohe Kerle, welche die Füsse über das Balkongeländer herunterhängen lassen, Familien mit soviel Kindern, dass man nur kurz hinschaut, ohne sie zählen zu können richten hier den Schmutz armer Kinderstuben ein (es rinnt ja schon im Parterre) im dunklen Hintergrund sitzen unheilbare Kranke, man sieht sie glücklicherweise nur wenn man
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