Ist Gott ein Mathematiker
625–547 v. Chr.) eingeführt worden sein, so waren doch die Pythagoreer diejenigen, die dieses Vorgehen zu einem unschlagbaren Werkzeugzur Ermittlung mathematischer Wahrheiten erhoben. Dieser Durchbruch in der Logik war von ungeheurer Bedeutung. Auf Axiome gegründete Beweise stellten die Mathematik mit einem Schlag auf ein sehr viel solideres Fundament, als jede andere der zu jener Zeit von den Philosophen diskutierten Disziplinen es vorweisen konnte. War ein schlüssiger, auf der Basis gewisser Postulate in logischen Schritten gewonnener Beweis einmal vorgelegt, war die Gültigkeit der betreffenden mathematischen Aussage im Prinzip unangreifbar geworden. Sogar Arthur Conan Doyle, geistiger Vater des berühmtesten Detektivs der Welt, zollte dem besonderen Status des mathematischen Beweises Tribut. In
Eine Studie in Scharlachrot
heißt es, seine Schlussfolgerungen seien «so unfehlbar wie die Kernsätze des Euklid».
Was die Frage betrifft, ob Mathematik entdeckt oder erfunden worden ist, so hegten Pythagoras und die Pythagoreer diesbezüglich wenig Zweifel – Mathematik war real, unveränderbar, allgegenwärtig und erhabener als alles, was der fehlbare menschliche Geist hervorbringen könnte. Die Pythagoreer betteten das Universum buchstäblich in ihre Mathematik ein. Ja, wenn es nach den Pythagoreern ging, war nicht Gott ein Mathematiker, sondern die
Mathematik war Gott!
Die Bedeutung der pythagoreischen Philosophie liegt nicht nur im unmittelbaren Wert ihrer Aussagen. Dadurch dass sie den Boden bereiteten und zu einem gewissen Grad auch die Agenda für die nächste Philosophengenerationen – insbesondere für Platon – vorgaben, sicherten sich die Pythagoreer eine beherrschende Position im westlichen Denken.
In Platons Höhle
Der berühmte britische Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead (1861–1947) erklärte einst: «Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, dass sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.»
In der Tat war Platon (ca. 428–347 v. Chr.) der Erste, der Bereiche wie Mathematik, Naturwissenschaften und die Sprachwissenschaftmit Gebieten wie Religion, Ethik und Kunst vereinte und in einer ganzheitlichen Weise abhandelte, die im Grunde genommen die Philosophie als eine eigene Disziplin definierte. Für Platon war die Philosophie keine abstrakte, von der Praxis des Alltags losgelöste Angelegenheit, sondern vielmehr ein Leitfaden, eine Anleitung, wie Menschen ihr Leben führen, Wahrheit erkennen und ihre Politik ausrichten sollten. Vor allem vertrat er den Standpunkt, dass die Philosophie uns Zugang zu einem Reich an Wahrheiten eröffnen kann, das weit jenseits dessen liegt, was wir entweder direkt mit unseren Sinnen erfassen oder mit unserem einfachen Menschenverstand herleiten können. Wer war dieser unermüdliche Sucher nach dem reinem Wissen, dem absoluten Guten und der ewigen Wahrheit?
Platon, Sohn des Ariston und der Periktione, wurde in Athen oder Aigina geboren. Abbildung 7 zeigt eine römische Herme mit dem Kopf des Platon, vermutlich die Kopie eines älteren griechischen Originals aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. Seine Familie blickte sowohl väterlicherseits als auch mütterlicherseits auf eine lange ruhmreiche Ahnenreihe zurück, zu der so berühmte Gestalten gehörten wie Solon, der große Staatsmann und Gesetzgeber, und Kodrus, der letzte König von Athen. Platons Onkel Charmides und Kritias, der Cousin seiner Mutter, waren alte Freunde des berühmten Philosophen Sokrates (ca. 470–399 v. Chr.) – eine Verwandtschaft, die in vielfältiger Weise prägenden Einfluss auf den Geist des jungen Platon gehabt haben wird. Ursprünglich hatte Platon vorgehabt, eine politische Laufbahn einzuschlagen, doch eine Reihe gewaltsamer Ausschreitungen der politischen Fraktion, die ihn seinerzeit umwarb, ließ ihn davon Abstand nehmen. Diese frühe Abwendung von der Politik mag ihn später im Leben vielleicht bewogen haben, ausführlich darzulegen, was er bei der Erziehung künftiger Staatenlenker für unverzichtbar hielt. In einem Fall versuchte er sogar (wenn auch erfolglos), auf den Tyrannen von Syrakus, Dionysios II., einzuwirken.
Nach der Hinrichtung des Sokrates begab sich Platon mehrere Jahre lang auf Reisen, bis er schließlich um 387 v. Chr. sesshaft wurde und seine berühmte Philosophenschule gründete, die Akademie, der er bis zu seinem Tod als Leiter oder
Scholarch
vorstand. Sein Neffe und Schüler
Weitere Kostenlose Bücher