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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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Liste als Ms. 355. Papadopoulos-Kerameus gelang es, einige Zeilen des mathematischen Textes zu entziffern, und er erkannte möglicherweise dessen potentielle Bedeutung, auf jeden Fall beschrieb er sie in seinem Katalog und transkribierte darin einen Abschnitt des Originaltextes. Das sollte der Wendepunkt in der Saga um dieses Manuskript sein. Der dänische Philologe Johan Ludvig Heiberg (1854–1928) wurde auf den mathematischen Text im Katalog aufmerksam gemacht. Heiberg, der die Urheberschaft des Archimedes erkannte, reiste 1906 nach Istanbul, untersuchte und fotografierte das Palimpsest und verkündete ein Jahr später die sensationelle Entdeckung: zwei bis dahin nie gesehene Abhandlungen des Archimedes und eine, die zuvor nur in lateinischer Übersetzung bekannt gewesen war. Auch wenn Heiberg in der Lage war, Teile des Manuskripts zu lesen, und sie später in seiner Ausgabe der Werke des Archimedes veröffentlichte, klafften darin noch große Lücken. Leider verschwand das Manuskript irgendwann nach 1908 unter mysteriösen Umständen aus Istanbul – um plötzlich im Besitz einer Pariser Familie wieder aufzutauchen, die angab, es seit den 1920er Jahren besessen zu haben. Das unsachgemäß gelagerte Palimpsest hatte einige nicht mehr zu entfernende Stockflecken, und drei der von Heiberg einst übersetzten Seiten fehlten komplett. Zu allem Überfluss hatte – offenbar nach 1929 – jemand auf vier Seiten Illustrationen im byzantinischen Stil eingefügt. Die französische Familie, in deren Besitz sich das Manuskript befand, ließ dieses schließlich von Christie’s versteigern. Die Eigentumsverhältnisse wurden 1998 vor dem Bundesgericht in New York verhandelt. Das griechisch-orthodoxe Patriarchat von Jerusalem klagte, das Manuskript sei in den 1920er Jahren aus einem seiner Klöster gestohlen worden, aber der Richter entschied zugunsten des Auktionshauses. Am 29. Oktober 1998 wurde das Manuskript schließlich versteigert, es brachte 2 Millionen Dollar, der Käufer blieb anonym. Der neue Besitzer übergab das Manuskript dem Walters Art Museum in Baltimore, wo es noch immer aufwendig restauriert und untersucht wird. Spezialisten für moderne bildgebende Verfahren haben ein Riesenarsenal an Instrumenten und Methoden aufgefahren – Verfahren, von denen Forscher der Vergangenheit nicht zu träumen gewagt hätten. Manhat bereits ultraviolettes Licht, Multispektralanalysen, sogar Synchroton-Röntgenstrahlen (am Stanford-Linearbeschleuniger) eingesetzt, um Teile des Manuskripts zu entziffern, die bislang nicht lesbar gewesen sind. Während ich dies schreibe, ist die akribische Untersuchung des Archimedes-Manuskripts noch in vollem Gange. Ich hatte das Glück, die Palimpsest-Forscher besuchen zu dürfen, und in Abbildung 13 hat man mich neben dem Versuchsaufbau abgelichtet, während eine Seite des Textes mit verschiedenen Wellenlängen bestrahlt wird.
    Die dramatischen Ereignisse um dieses Schriftstück sind einem Dokument, das uns einen nie da gewesenen Einblick in die Methodik des «großen Geometers» vergönnt hat, nur angemessen.
Die Methodenlehre
    Wenn man ein Buch über die griechische Geometrie liest, kann man nicht anders, als tief beeindruckt zu sein von der pointierten Kürze des Stils und der Präzision, mit der die Lehrsätze vor über zwei Jahrtausenden aufgestellt und bewiesen wurden. Was diese Bücher normalerweise allerdings vermissen lassen, sind klare Hinweise darauf, wie die Gelehrten zu diesen Lehrsätzen gekommen sind. Archimedes’ grandioses Dokument über seine Methode füllt diese Lücke zum Teil – es zeigt eindrücklich, dass Archimedes von der Gültigkeit gewisser Theoreme bereits überzeugt war, bevor er wusste, wie er sie beweisen sollte. Hier ein Auszug aus dem, was er einleitend an den Mathematiker Eratosthenes von Kyrene (ca. 276–194 v. Chr.) schrieb:
    Bei einer früheren Gelegenheit sandte ich dir einige der von mir gefundenen Lehrsätze … Die Beweise dieser Sätze habe ich … in diesem Buche ausgearbeitet und schicke sie dir jetzt.
    Da ich aber, wie ich schon sagte, in dir einen ernsthaften Gelehrten, einen Philosophen von hervorragender Bedeutung und, bei vorkommender Gelegenheit, einen Bewunderer mathematischer Forschung sehe, so habe ich es angebracht gefunden, in demselben Buche eine eigentümliche Methode niederzulegen und Dir auseinanderzusetzen, wodurch es Dir möglich sein wird, eine Anregung zur Untersuchungeiniger mathematischer Fragen
mit Hilfe der

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