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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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10 63 (einer zehn mit dreiundsechzig Nullen) liegen müsse. Er beschließt die Abhandlung mit einer respektvollen Adresse an Gelon:
    Ich vermute, König Gelon, daß diese Dinge der großen Menge Leuten, die sich nicht mit Mathematik beschäftigt haben, unglaublich erscheinen, denen aber, die etwas davon verstehen und die Erörterung der Entfernungen und Größen der Erde, der Sonne, des Mondes und des ganzen Weltalls verfolgt haben, auf Grund des Beweises einleuchten werden. Und aus diesem Grunde fand ich den Gegenstand Deiner Betrachtung nicht unwürdig.»
    Die Schönheit und Eleganz der
Sandrechnung
liegt in der Leichtigkeit, mit der Archimedes von alltäglichen Gegenständen (Mohnsamen, Sand und Fingern) auf abstrakte Zahlen und mathematische Darstellungsweisen und von diesen weiter auf die Größe des Sonnensystems und des Universums insgesamt voranschreitet. Ohne Frage verfügte Archimedes über eine solche intellektuelle Nonchalance, dass er seine Mathematik mit leichter Hand anwenden konnte, um unbekannten Eigenschaften des Universums nachzuspüren, und umgekehrt kosmische Gegebenheiten heranzuziehen vermochte, um arithmetische Konzepte voranzubringen.
    Archimedes hat noch aus einem weiteren Grund Anspruch auf den Titel eines «Magiers», und zwar wegen der Art und Weise, mit der er zu den meisten seiner herausragenden geometrischen Lehrsätze gelangt ist. Bis zum 20. Jahrhundert war nur sehr wenig über Archimedes’ wissenschaftliche Methode und über seine Art zu denken bekannt. Sein knapper Stil lieferte nur wenige Hinweise. Dann, im Jahre 1906, öffnete eine fantastische Entdeckung ein Fenster zum Geist dieses Genies. Die Geschichte dieser Entdeckung liest sich wie einer dieser historischen Kriminalromane des italienischen Philosophen Umberto Eco, so dass ich nicht anders kann, als Ihnen in einem kurzen Exkurs davon zu erzählen.
Der Kodex des Archimedes
    Irgendwann im 10. Jahrhundert kopierte ein anonymer Schreiber in Konstantinopel (dem heutigen Istanbul) drei wichtige Werke des Archimedes;
Von der Methode,
das
Stomachion
und
Über schwimmende Körper.
Geschuldet war dies vermutlich einem allgemeinen Interesse an griechischer Mathematik, geschürt vor allem durch einen berühmten Mathematiker des 9. Jahrhunderts namens «Leo der Geometer». Im Jahr 1204 aber ließen sich die Kreuzfahrer des Vierten Kreuzzugs durch eine beträchtliche Geldsumme zur Finanzierung ihrer Mission dazu verleiten, Konstantinopel zu plündern. In den darauffolgenden Jahren verblasste die Leidenschaft für die Mathematik, und die Kirchenspaltung zwischen katholischer und orthodoxer Kirche wurde unüberbrückbar. Irgendwann vor 1229 widerfuhr dem Manuskript mit den Werken des Archimedes ein katastrophaler Akt des Recyclings: Es wurde auseinandergenommen und die Schrift darauf abgeschabt, auf dass die Seiten für ein christliches Gebetbuch neue Verwendung finden sollten. Der Schreiber Ioannes Myronas beendete die Arbeit an der Kopie des Gebetbuches am 14. April 1229. Glücklicherweise hat die Säuberung des Pergaments die Urschrift des Originaltextes nicht ganz entfernen können. Abbildung 12 zeigt eine Seite aus dem Manuskript – die gut sichtbaren horizontalen Linien enthalten den Gebetstext, die blasseren vertikalen darunter den ursprünglichenmathematischen Inhalt. Im 16. Jahrhundert hatte das Palimpsest – das recycelte Manuskript – auf verschlungenen Pfaden ins Heilige Land, genauer ins Kloster Mar Saba östlich von Bethlehem, gefunden. Die Bibliothek dieses Klosters enthielt nicht weniger als tausend Manuskripte. Auf bislang nicht geklärten Wegen gelangte das Archimedes-Palimpsest erneut nach Konstantinopel. Dann, in den 1840er Jahren, besuchte der berühmte deutsche Bibelgelehrte Konstantin von Tischendorf (1815–1874) das Metochion der Bruderschaft zum Heiligen Grab in Konstantinopel (einem Ableger des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats Jerusalem) und wurde dort auf das Palimpsest aufmerksam. Tischendorf muss den teilweise durchscheinenden mathematischen Hintergrund recht faszinierend gefunden haben, denn offenbar riss er eine Seite aus dem Manuskript heraus und ließ sie mitgehen. Im Jahr 1879 wurde diese Seite aus Tischendorfs Nachlass an die Cambridge University verkauft.

    Abbildung 12
    Zwanzig Jahre später (im Jahr 1899) fertigte der griechische Gelehrte Athanasios Papadopoulos-Kerameus ein Verzeichnis sämtlicherimMetochion aufbewahrten Schriften an, das Archimedes-Palimpsest erscheint auf seiner

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