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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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eines der Hauptziele darin, die Steigung einer geraden Linie zu bestimmen, die in einem gegebenen Punkt als Tangente an eine Kurve – das heißt als Gerade, die die Kurve in nur einem Punkt berührt – angelegt wird. Archimedes löste dieses Problem für den Spezialfall einer Spirale und griff damit weit voraus auf die zukünftigen Arbeiten von Newton und Leibniz. Heutzutage bilden die Integral- und die Differentialrechnung mit ihren Ablegerneine Grundlage, auf der die meisten mathematischen Modelle – sei es in der Physik oder in den Ingenieurswissenschaften, auf dem Gebiet der Ökonomik oder der Populationsdynamik – fußen.
    Archimedes hat die Welt der Mathematik und die Wahrnehmung ihrer Relation zum Kosmos in tief greifender Weise verändert. Durch eine faszinierende Kombination von theoretischem und praktischem Interesse erbrachte er den ersten empirischen – nichtmythischen – Beweis für eine augenscheinlich mathematische Beschaffenheit der Natur. Die Vorstellung von der Mathematik als Sprache des Universums, mithin die Vorstellung von einem Mathematik betreibenden Gott, wurzelt demnach in Archimedes’ Arbeit. Dennoch gab es etwas, das Archimedes nicht getan hat – er hat niemals ausgelotet, ob seinen mathematischen Modellen bei der Anwendung auf reale physikalische Gegebenheiten Grenzen gesetzt sind. Seine theoretischen Diskussionen zur Wirkung von Hebeln beispielsweise gingen davon aus, dass diese absolut starr wären und kein Eigengewicht hätten. Folgerichtig öffnete er damit zu einem gewissen Grad einer «Mathematik des schönen Scheins» Tür und Tor – mathematischen Modellen, die nur wiedergeben, was Menschen beobachten, nicht aber der tatsächlichen, wahren physikalischen Realität gerecht werden. Dem griechischen Mathematiker Geminos (ca. 10 v. Chr.–60 n. Chr.) gebührt das Verdienst, den Unterschied zwischen mathematischen Modellen und physikalischen Erklärungen am Beispiel der Bewegung von Himmelskörpern als Erster diskutiert zu haben. Er unterschied zwischen Astronomen (oder Mathematikern), die seiner Ansicht nach nur Modelle vorzuschlagen hätten, welche die beobachteten Bewegungen der Gestirne
nachbilden,
und Physikern, die
Erklärungen
für das reale Pendant, die tatsächlichen Bewegungen, zu finden hätten. Diese Unterscheidung fand einen dramatischen Höhepunkt zu Zeiten Galileis, und ich werde später in diesem Kapitel darauf zurückkommen.
    Es mag ein bisschen überraschen, aber Archimedes selbst betrachtete als eine seiner beachtlichsten Leistungen die Entdeckung, dass das Volumen einer Kugel, die man einem Zylinder einbeschreibt (Abbildung 15), stets ⅔ des Zylindervolumens beträgt. Er war von dieser Erkenntnis derart beglückt, dass er verlangte, man möge sie auf seinem Grabstein festhalten. Etwa 137 Jahre nach Archimedes’ Todentdeckte der große römische Redner Marcus Tullius Cicero (ca. 106–43 v. Chr.) das Grab des Mathematikers. Hier die durchaus anrührende Darstellung dieses Ereignisses

    Abbildung 15
    Als ich Quaestor war, habe ich sein Grab, das die Syrakusaner nicht kannten und von dem sie behaupteten, es existiere überhaupt nicht, gefunden, dicht umgeben und verhüllt von Büschen und Sträuchern. Ich kannte nämlich einige kleine Iamben, die auf seinem Grabe, wie ich erfahren hatte, geschrieben standen und besagten, daß auf der Spitze des Grabes sich eine Kugel und ein Zylinder befänden. Nachdem ich nun mit den Augen alles gemustert hatte (bei dem Agrigentinischen Tore gibt es nämlich eine ganze Masse von Gräbern), da bemerkte ich eine kleine Säule, die nicht sehr aus dem Gebüsch herausragte. Und da fand ich die Gestalt der Kugel und des Zylinders. Ich sagte sofort den anwesenden Syrakusanern, deren Notablen bei mir waren, ich dächte, es sei eben dies, was ich suchte. Da wurden dann viele Leute mit Sicheln vorgeschickt, und sie reinigten und öffneten den Ort. Als einmal der Zugang freigelegt war, begaben wir uns zu der anderen Seite der Basis. Es zeigte sich jenes Epigramm, bei dem die zweiten Teile der Verse ungefähr bis zur Hälfte verwittert waren. So hätte denn eine der vornehmsten Städte Griechenlands, einstmals auch eine der gebildetsten, das Grabmal eines ihrer scharfsinnigsten Bürger vergessen, wenn es nicht von einem Manne aus Arpinum wiederentdeckt worden wäre.
Archimedes’ bester Schüler
    Galileo Galilei (Abbildung 16) wurde am 15. Februar 1564 in Pisa geboren. Sein Vater Vincenzo war Musiker, seine Mutter Giulia

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