Ist Gott ein Mathematiker
versetzt, dass er – im klaren Ungehorsam gegen den ausdrücklichen Befehl seines Feldherrn – aufgebracht das Schwert gezogen und den größten Mathematiker aller Zeiten erschlagen habe. Abbildung 11 zeigt die Reproduktion (aus dem 18. Jahrhundert) eines im Herkulaneum gefundenen Mosaiks, das die mutmaßlich letzten Augenblicke im Leben «des Meisters» darstellt.
Mit Archimedes’ Tod endete in gewissem Sinne eine außerordentlich lebendige Ära in der Geschichte der Mathematik. Wie der britische Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead bemerkt:
Der Tod des Archimedes durch die Hand eines römischen Soldaten ist symbolisch für einen Weltumsturz von gewaltigem Ausmaß: Die theoretischen Griechen mit ihrer Liebe zur abstrakten Wissenschaft wurden aus der Führerrolle in der europäischen Welt verdrängt durch die praktischen Römer. Lord Baconfield hat in einem seiner Romane einen Praktiker definiert als einen Menschen, der die Irrtümer seiner Vorfahren anwendet. Die Römer waren ein großes Volk, aber es lag auf ihnen ein Fluch der Unfruchtbarkeit, der jedes nur aufs Praktische gerichtete Tun begleitet. Sie vermehrten die Erkenntnisse ihrer Vorfahren nicht, und alle ihre Fortschritte beschränkten sich auf kleine technische Einzelheiten der Ingenieurskunst. Sie waren nicht visionär genug, um zu neuen Gesichtspunkten zu gelangen, die eine tiefergreifende Kontrolle über die Naturkräfte erlaubt hätten. Kein Römer ließ je sein Leben, weil er in die Betrachtung einer mathematischen Figur versunken war.
Zwar mögen uns nur wenige Einzelheiten aus dem Leben des Archimedes überliefert sein, doch glücklicherweise sind uns viele, wenn auch nicht alle seiner unglaublichen Schriften erhalten geblieben. Archimedes hatte die Gewohnheit, an einige befreundete Mathematiker und andere Menschen, denen er Respekt entgegenbrachte, Briefe über seine mechanischen und mathematischen Entdeckungen zu schreiben. Zu dieser exklusiven Liste an Adressaten gehörten unter anderem der Astronom Konon von Samos, der Mathematiker Eratosthenes von Kyrene und der Sohn des Königs, Gelon. Nach Konons Tod sandteArchimedes auch an dessen Schüler Dositheus von Pelusium einige Briefe.
Abbildung 11
Archimedes’ Werk deckt ein erstaunlich breites Spektrum an mathematischen und physikalischen Themen ab. Zu seinen vielen Leistungen gehörten unter anderem allgemein anwendbare Methoden zur Ermittlung der Fläche einer Vielfalt von Figuren in der Ebene und des Volumens von Körpern, die von allen möglichen Arten von gekrümmten Oberflächen umschlossen sind. Dazu zählen die Kreisfläche, die Fläche eines Parabelsegments und Flächensegmente einer Spirale sowie die Volumina von Zylindern, Kegelsegmenten und Körpern, die durch die Rotation von Parabeln, Ellipsen und Hyperbeln entstehen (Rotationsparabolide, Rotationsellipsoide und Rotationshyperboloide). Er zeigte, dass der Wert von π – des Verhältnisses von Kreisumfang zu Kreisdurchmesser – größer sein musste als 3und kleiner als 3. Zu einer Zeit, da es noch keinerlei Möglichkeit gab, mit sehr großen Zahlen zu hantieren, erdachte er ein System, das es nicht nur möglichmachte, diese niederzuschreiben, sondern auch mit Zahlen beliebiger Größenordnung umzugehen. In der Physik entdeckte Archimedes die Gesetze, nach denen sich schwimmende Körper verhalten, und legte so den Grundstein für die Hydrostatik. Außerdem errechnete er die Schwerpunkte zahlreicher Flächen und Körper und formulierte die Hebelgesetze. Er führte astronomische Beobachtungen zur Bestimmung der Jahreslänge und der Entfernung zu den Planeten durch.
Die Arbeiten vieler griechischer Mathematiker waren von großer Originalität und ungemein detailliert. Doch Archimedes’ Methode der Beweisführung und Lösung hoben ihn von allen anderen Denkern seiner Zeit wahrhaft ab. Lassen Sie mich an dieser Stelle drei repräsentative Beispiele herausgreifen, die einen trefflichen Eindruck von Archimedes’ Erfindungsreichtum vermitteln. Eines scheint auf den ersten Blick nichts weiter als eine amüsante Kuriosität, bei näherem Hinsehen aber erschließt sich an ihm die ganze Tiefe dieses fragenden Forschergeistes. Die beiden anderen Illustrationen archimedischer Genialität zeugen von einem Denken, das seiner Zeit derart weit voraus ist, dass es Archimedes auf der Stelle auf das Podest eines «Magiers», wie ich diesen Status genannt habe, erhebt.
Archimedes war ganz offensichtlich von Zahlen fasziniert.
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