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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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berief sich auf Beobachtungen und Experimente, die auf nur vier Prozent genau waren, und leitete daraus ein mathematisches Gravitationsgesetz von einer Genauigkeit ab, die bei eins zu einer Million lag. Er vereinte zum ersten Mal
Erklärungen
für natürliche Phänomene mit der Macht des
Voraussagens
der Ergebnisse von Beobachtungen. Physik und Mathematik wurden auf ewig miteinander verbandelt, wohingegen die Scheidung von Naturwissenschaft und Philosophie unausweichlich wurde.
    Die zweite Auflage der
Principia,
von Newton und vor allem auch von dem Mathematiker Roger Cotes (1682–1716) ausführlich überarbeitet, erschien 1713 (Abbildung 29 zeigt das Titelblatt). Newton, der nicht gerade für menschliche Wärme berühmt war, machte sich nicht einmal die Mühe, Cotes im Vorwort seines Buches für dessen fabelhafte Arbeit zu danken. Als Cotes allerdings im Alter von dreiunddreißig Jahren einem schweren Fieber erlag, ließ Newton immerhin einige Achtung durchschimmern: «Wenn er noch lebte, wüssten wir mehr.»

    Abbildung 29
    Eigentümlicherweise erschienen einige von Newtons bemerkenswertesten Aussagen über Gott in einem Abschnitt, den er seiner zweiten Auflage von 1713 sozusagen als letzten Schliff hinzugefügt hat. In einem Brief an Cotes vom 28. März 1713 – weniger als drei Monate vor der Fertigstellung der zweiten Auflage der
Principia –
schrieb Newton den Satz: «Ganz sicher obliegt es der Naturphilosophie, Gott aus den Erscheinungen der Natur zu erklären.» Im Weiteren heißt es: «Es folgt hieraus, daß der wahre Gott ein lebendiger, einsichtiger und mächtiger Gott, daß er über dem Weltall erhaben und durchausist. Er ist ewig und unendlich, allmächtig und allwissend, d.h., er währt von Ewigkeit zu Ewigkeit …»

    Abbildung 29
    Aber hat sich der Blick auf die Rolle Gottes in diesem zunehmend als mathematisch wahrgenommenen Universum nicht doch verändert? Wurde Gott nicht mehr und mehr als Mathematiker begriffen? Schließlich hatte die Planetenbewegung bis zur Formulierung des Gravitationsgesetzes als eines der unfehlbaren Werke Gottes gegolten. Wie betrachteten Newton und Descartes diese Gewichtsverlagerung zugunsten einer wissenschaftlichen Erklärung der Natur?
Der mathematische Gott Newtons und Descartes’
    Wie die meisten Menschen ihrer Zeit waren auch Newton und Descartes religiöse Männer. Von dem unter dem Pseudonym Voltaire berühmt gewordenen französischen Schriftsteller François Marie Arouet (1694–1778), der sich ausführlich mit Newton befasst hat, stammt der berühmte Ausspruch: «Wenn Gott nicht existierte, müsste man ihn erfinden.»
    Für Newton waren die bloße Existenz der Welt und die mathematische Gesetzmäßigkeit des beobachteten Kosmos Beweis für Gottes Gegenwart. Diese Art der kausalen Beweisführung wurde erstmals von dem Theologen Thomas von Aquin (1225–1274) verfolgt, und ihre Argumentation fällt in die philosophische Kategorie der «Gottesbeweise» oder, besser, der Argumente für die Existenz Gottes; in diesem Falle haben wir es mit dem
kosmologischen
und dem
teleologischen Argument
zu tun. Einfach ausgedrückt, besagt das kosmologische Argument, dass es, da ja die physikalische Welt irgendwie entstanden ist, eine oberste Ursache, sprich: einen Schöpfergott, geben muss. Das teleologische Argument hingegen bezieht seine Belege für die Existenz Gottes aus der offensichtlich geordneten Struktur der Welt. Dazu Newtons Gedanken aus den
Principia:
«Diese bewunderungswürdige Einrichtung der Sonne, der Planeten, und Kometen hat nur aus dem Rathschlusse und der Herrschaft eines alles einsehenden und allmächtigen Wesens hervorgehen können. Wenn jeder Fixstern das Centrum eines, dem unseren ähnlichen, Systems ist, so muss das Ganze, da esdas Gepräge eines und desselben Zweckes in sich trägt, bestimmt Einem und demselben Herrscher unterworfen sein.» Die Gültigkeit des kosmologischen und des teleologischen sowie ähnlich gelagerter Argumente als Beweis für die Existenz Gottes ist seit Jahrhunderten Gegenstand philosophischer Debatten. Mein persönlicher Eindruck ist immer gewesen, dass Theisten diese Argumente nicht brauchen, um sich überzeugen zu lassen, und Atheisten durch sie nicht zu überzeugen sind.
    Newton gab dem Ganzen – auf der Grundlage der Allgemeingültigkeit seiner Gesetze – noch einen weiteren Dreh. Er betrachtete die Tatsache, dass der gesamte Kosmos von denselben Gesetzen regiert wird und augenscheinlich stabil ist, als weiteren Beweis

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