Ist Schon in Ordnung
sich im Kreis um sie herum. Alle stehen dichtgedrängt, der Rektor fuchtelt drohend mit den Armen. Arvid undHenrik drehen ihm den Rücken zu. Ein paar von den Jungen Konservativen rufen PFUI !, und die Jungen Sozialisten rufen SIEG DER FNL , aber die meisten stehen still da und warten ab, was passiert. Der Rektor wendet sich der Menge zu und beginnt, über 1814, die Verfassung von Eidsvoll und den KRIEG zu sprechen und was diejenigen wohl denken würden, die dabei waren, wenn sie an norwegischen Fahnenstangen eine fremde Flagge sähen. Er hebt den Zeigefinger wie ein Volksredner und hämmert uns die Punkte ein, aber seine Stimme hält nicht stand, sie bricht, auf dem Höhepunkt angekommen, und die Umstehenden grinsen hinter vorgehaltener Hand, und jemand, der hinten steht, sagt ziemlich laut BUUUH !, und Arvid dreht sich um und ruft:
»Ja, aber das ist doch ein Unterschied, verdammt noch mal! Die Flagge hier«, ruft er und zeigt auf die Spitze der Stange, »ist doch die Flagge eines besetzten Landes, so wie wir besetzt waren! Und das Land, von dem es besetzt ist, heißt USA , ein Land, das die norwegische Außenpolitik durch die NATO bevormunden will, worüber Sie so glücklich sind!« Die Jungen Konservativen brüllen wie besessen, sie trampeln mit ihren weißen Segelschuhen, hüpfen in ihren blauen Jacken auf und ab, und der Rektor bekommt rote Flecken im Gesicht. Ich stehe noch immer auf der Treppe und kann über die meisten Köpfe hinwegschauen, und dann sehe ich Simen Bjørnsen, den Chef der Jungen Konservativen an der Schule, den Pfadfinder und adretten Sportler, auf dem Weg die Stange hinauf. Er klettert wie ein Affe, das kann er gut, und ehe sich’s jemand versieht, ist er fast oben. Ein gewaltiger Lärm bricht los, ein Anfeuern und Ausbuhen, schlimmer als bei den Bundesjugendspielen, und als Simen mit der Hand auf den Fahnenmastkopf klatscht, die Fahne löst und sie bedeutungsvoller, als es dasbisschen Rot, Blau und Gelb rechtfertigt, auf den Schulhof segeln lässt, merke ich, dass mir das Ganze eigentlich ziemlich egal ist, dass das alles sicher wichtig ist, aber meine eigenen Sachen gehen mir bis zum Hals, so dass ich mich fast übergeben muss, und für andere Dinge ist kein Platz.
Die Menschenmenge löst sich auf, und Arvid trottet hinter dem Rektor her in dessen Büro. Er sieht trotzig und einsam aus, als er an mir vorbeigeht, und ich klopfe ihm auf die Schulter. Er dreht sich um und sieht mir ins Gesicht, aber er findet nicht, was er zu sehen hofft, denn er versucht nicht einmal zu lächeln, sondern folgt dem Rektor mit Henrik auf den Fersen, und ich sehe ihn an diesem Tag nicht wieder.
Ich sehe ihn auch am nächsten Tag nicht, darum rufe ich ihn nach der Schule an, und seine Mutter erzählt mir, dass er für eine Woche der Schule verwiesen wurde. Zwei Tage wegen der Flagge und drei Tage wegen Fluchens vor dem Rektor. Außerdem wird seine Note in Betragen eine Stufe herabgesetzt, und im Falle einer Wiederholung wird er nicht zur Abiturprüfung zugelassen. Sein Vater ist stinksauer, sagt die Mutter, wirkt selbst aber ziemlich unberührt.
»Kann ich mit ihm sprechen?«
»Er ist unterwegs.«
»Aha, wo ist er denn?«
»Tja, woher soll ich das wissen? Ich sollte wohl eher dich fragen. Wo geht ihr denn normalerweise hin?«
Das weiß ich natürlich, aber ich habe nicht vor, mein Wissen mit ihr zu teilen.
»Fragen Sie nicht, ich finde ihn bestimmt. Tschüss.«
Ich ziehe mich an und gehe hinaus und den Gefängnisbalkon entlang. Eigentlich sollte ich jetzt die Abendzeitungaustragen, aber ich habe die Route abgegeben. Es ist mir zuviel geworden, ich schaffte die Hausaufgaben nicht mehr. Außerdem hatte ich das Ganze satt. In der Schule war ich müde, weil ich so früh aufstand, und dann saß ich dort und mir graute davor, gleich wieder los zu müssen, kaum dass ich zu Hause war. Es ist eine Sache, ob man morgens geht, bevor die Leute aufstehen, eine andere Sache ist es, wenn man auf dem Präsentierteller erscheint, weil alle draußen sitzen oder aus dem Fenster schauen und eine witzige Bemerkung machen wollen.
Ich gehe den Berg hinauf an der U-Bahn-Haltestelle vorbei, dann vom Veitvetveien zum Trondhjemsveien und durch die Unterführung, und dann geht’s im Zickzack zwischen den Blocks in Slettaløkka hindurch. Oben, kurz vor dem Wald, liegt das eingezäunte Gebiet des NIKE -Bataillons mit dem hohen Wachturm und dem großen Eisentor und dem Schilderhaus. Das Tor steht heute offen, aber ich kann
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