Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
einem schönen Beispiel: Der Mann betrügt seine Frau, und sie zieht sofort aus, nachdem die andere ihn hat auffliegen lassen. Daraufhin steht er viele Wochen lang jeden Morgen in Dunkelheit und Kälte morgens um halb sechs vor ihrer neuen Wohnung und wartet auf sie, weil er weiß, dass sie um die Zeit zur Arbeit geht. Die Autoren schreiben, er habe das irgendwie auch als »Abtragen
seiner Schuld« empfunden. Irgendwann ist sie zurückgekommen. Die Erfahrung mache ich in der Praxis ständig: Wenn sich ein Partner damit auseinandersetzt, wie er den anderen ungenährt, ungepflegt, unbeschenkt alleingelassen hat, und sich mit einer Veränderung beschäftigt, wird »alles gut«. Das betrifft Männer wie Frauen.
Einer meiner Klienten wollte sich trennen, weil er seine Partnerin »nicht mehr liebe«. Sie setzte sich daraufhin mit ihrem Anteil daran auseinander, dass er seine Liebe verlieren musste. Sie hatte viele Bereiche ihrer Persönlichkeit einfach unentwickelt gelassen und die Folgen ihm zugeschoben. In diesem Fall betraf es die materielle Organisation ihres Lebens: Freiberuflich tätig, schrieb sie keine Rechnungen, sie kümmerte sich nicht um ihre Finanzen, sie arbeitete zu viel, setzte anderen Menschen keine Grenzen, entwickelte einen Fettschutzpanzer und benutzte ihren Partner als Bollwerk gegen die beängstigende Welt.
Nun übernahm sie die Verantwortung, die sie ihm zugeschoben hatte. Sie wurde immer noch kein Finanzgenie, aber sie entwickelte Disziplin. Sie arbeitete weniger und beschäftigte sich mit ihrem Selbstwertgefühl, das so gut wie nicht vorhanden war. Sie trieb Sport und veränderte ihr Essverhalten. Er fand schon sehr schnell seine Liebe wieder und sagte irgendwann: Eigentlich habe
ich
mich nicht mehr geliebt gefühlt, und da habe ich auch aufgehört zu lieben. Sonst hätte das zu sehr wehgetan.
Er entwickelte seine Männlichkeit: Lernte, ihr Grenzen zu setzen, wenn sie ihn funktionalisierte. Er schützte seine Zeit, die er für seine künstlerischen Projekte benötigte. Er erlaubte sich überhaupt, seine Bedürfnisse zu empfinden und sie ernst zu nehmen. Er wurde als Mann sexuell fordernder. Die beiden haben eine wundervolle lebendige Beziehung entwickelt, um die viele andere sie beneiden.
So ging es vielen Paaren, die in diesem Buch vorkamen. Ich bin immer wieder sehr berührt, was aus den Menschen
geworden ist, die erschöpft, verletzt, resigniert, verzweifelt zu mir kamen.
Wenn wir gemeinsam die Therapie beenden, hat sich wahnsinnig viel verändert, und die beiden sehen auch anders aus. Der Ton zwischen ihnen hat die Gereiztheit verloren, sie tragen Streitigkeiten offen aus, aber sie bringen sie auch zu Ende, lassen nichts weiterschwelen.
Daniel, dessen Partnerin Andrea ihrer Beziehung anfangs nur noch drei Monate gab, sagt: Wir sind ein völlig anderes Paar geworden. Wenn sie heute zickig ist, halte ich inne und überlege, was schiefgelaufen ist. Oder ich frage sie. Und dann klären wir das. Früher habe ich zurückgezickt, und dann waren wir beide beleidigt, sind uns eine Weile aus dem Weg gegangen, und irgendwann haben wir wieder miteinander gesprochen. Aber es war nichts geklärt. Jetzt ist alles viel entspannter. Und wenn ich Lust auf sie habe, packe ich direkt zu. Ich verschiebe nichts mehr auf später.
Liebe macht uns unendlich verletzlich, aber sie macht uns auch sehr stark. Immer wieder erlebe ich, wie die Paare, die miteinander umeinanderringen, eine ganz neue Solidarität entwickeln. Sie haben sich nackt erlebt und gezeigt. Beide wissen, wie kostbar das ist und wie verletzlich es macht. Sie gehen viel achtsamer miteinander um, und sie pflegen und schützen ihre Beziehung als das, was sie ist: ein unersetzlicher Schatz.
Wohin Maria und Ralf gehen, weiß ich noch nicht. Sie sind auf dem Weg. Sie muss lernen, ihre Bedürfnisse zu respektieren. Sie muss lernen, sich selbst wertvoll zu sein und ihre Kraft nicht zu verschleudern. Sie muss die Verantwortung an ihn zurückgeben, die sie übernommen hat: Es ist seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie ihm wieder vertrauen kann. Es ist seine Aufgabe, ihr das Gefühl zu vermitteln, dass sie die einzige Frau ist, die er will. Es ist seine Aufgabe, ihr das Gefühl zu vermitteln, von ihm begehrt zu werden. Das alles kann sie nicht allein tun. Da ist sie abhängig von ihm.
Ihre Aufgabe ist es, ihn vor die klare Alternative zu stellen: Entweder du änderst etwas, oder ich kann – bei aller Liebe – nicht bei dir bleiben.
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