Istanbul: Ein historischer Stadtführer
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fasst in wenigen Worten zusammen, was unserer Hauptstadt und unserem Vaterland über siebenhundert Jahre widerfuhr.
Osman Nuri beschäftigte sich als Verwaltungsbeamter mit früheren (wirkungslosen) und neueren (wirkungsvolleren) Feuerschutzverordnungen, dem Aufbau einer modernen Brandwache, der Errichtung von Beobachtungstürmen und dem Anfang des 20. Jahrhunderts unter gewissenhaften Muslimen umstrittenen Versicherungswesen. Einen der letzten großen Brände wertet er eher als Glücksfall denn Katastrophe, weil er den modernen Umbau großer Teile der Altstadt ermöglichte!
Forscher, die sich mit den Veränderungen des Istanbuler Stadtbilds, vor allem im 19. Jahrhundert, befassten, haben immer wieder auf die Folgen der Großfeuer für die Entwicklung eines geplanten Straßennetzes hingewiesen. Zu den Folgen der Brände gehörte aber auch eine stärkere Umschichtung der Bevölkerung. Nach Bränden nahm der Druck auf nichtmuslimische Gemeinschaften zu, sich stärker in eigenen, randständigen Wohngebieten zusammenzuschließen. Kaum diskutiert wird, dass Erdbeben und Brände nicht allein Menschenleben kosten und Schäden an Hab und Gut anrichten. Auch ihre Auswirkung auf die schriftliche Überlieferung war enorm. Bei der Durchsicht von Personalakten der letzten Ulemâ-Generation fällt auf, wie groß die Zahl der jungen Rechtsgelehrten war, deren Diplome bei im Einzelnen genannten Stadtbränden von Istanbul verlorengingen. Das erste Manuskript des produktiven und populären Schriftstellers Hüseyin Rahmi Gürpınar, ein Theaterstück, verkohlte im Aksaray-Brand von 1911. Der Mangel an osmanischen Autobiographien und anderen Selbstzeugnissen hat sicher auch mit dem Verlust der hunderttausend Wohnhäuser, Läden und Palazzi über die osmanischenJahrhunderte hinweg zu tun. Fast alle Bibliotheken und Sammlungen der bürokratischen Elite der letzten Jahrhunderte sind verschwunden wie zum Beispiel der Konak des gelehrten Sadık Rifat Pascha (1807–1857). Man kann sogar unterstellen, dass die Quellenverluste durch Erdbeben und Brände nicht geringer waren als die der Kriege (mit denen İbrâhîm Müteferrika einst die Notwendigkeit einer osmanischen Druckerei begründete).
Göttliches Walten und herrscherliche Obsorge
Wenn sich der Sultan in Istanbul aufhielt, was im 18. Jahrhundert die Regel war, eilte er an den Brandort und überwachte die Bekämpfung des Feuers. Die Brandberichte erzählen auch von unmittelbaren Geldspenden an die von einer Stunde zur anderen obdachlos gewordenen Bewohner. Die tagelangen Feuersbrünste, die große Teile der Stadt vernichteten, zwangen viele Menschen, Zuflucht in anderen Orten zu suchen. Nach dem Feuer von 1782 gab der Sultan Geld, um den Obdachlosen den Umzug in mehrere Tagereisen entfernte Städte wie Edirne und İzmit zu ermöglichen. Die Schiffspassagen waren um das Mehrfache gestiegen. Weil viele Getreidemühlen verbrannt waren, brach eine Hungersnot aus.
Als Stürme im Jahr 1563 zahlreiche Dörfer vernichteten, wurden auch drei Istanbuler Aquädukte während der Bauzeit beschädigt. Der Dichter Eyyûbî hat in vielen Hundert Doppelversen den Bau und Wiederaufbau der Wasserleitung beschrieben. Unverdrossen macht sich Süleymân wie einst Salomon beim Bau des Tempels an die Reparatur, ohne sich gegen den Ratschluss Gottes aufzulehnen: «Er klagte nicht über das Werk der Zeit, er fügte sich dem göttlichen Ratschluss.» Einsicht in die Prädestination (
takdîr
) enthebt den Herrscher jedoch nicht von der vorsorglichen Erwägung praktischer Maßnahmen (
tedbîr
). Wir treffen auch in den osmanischen Feldzugsberichten immer wieder auf Stellen, in denen die Chronisten Kommandanten schelten, weil sie ohne ein ausreichendes Maß an Umsicht handelten. Anders als in der türkischen Entsprechung unseres «Der Mensch denkt und Gott lenkt» (
takdîr tedbîri bozar
) kann von einem passiven Sich-Ergeben in Gottes Willen bei der Bewältigung von Katastrophen nicht die Rede sein. Die Einsicht in die Allmacht Gottes fällt bei kollektiven Katastrophen dem Gläubigen auch dann nicht schwer, wenn er keinen Sinn in dessen Wirken zu erkennen vermag. Dazu lässt sich ein Satz aus der Chronik des Na‘îmâ über den sogenannten Cibali-Brand desJahres 1633 zitieren. Diesem Feuer fielen 20.000 Häuser, etwa ein Fünftel des Baubestands von Istanbul, zum Opfer. Es gehört wegen des auf ihn folgenden Verbots des Kaffee- und Tabakgenusses zu den bekannteren Katastrophen des 17. Jahrhunderts.
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