Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Stiftung in ihrer Gesamtheit. Die häufig zu lesende Wiedergabe mit «Armenküche» ist eher irreführend, weil nur ein geringer Teil der täglich gekochten Speisen und gebackenen Brote an Arme verteilt wurde. Die
İmârets
der großen Moscheekomplexe waren nämlich in erster Linie Großküchen für das Personal, d.h. vor allem Lehrer und Schüler der Medresen. Bedürftige holten sich lediglich ihre Suppe mit einem Stück Brot. Im Fall der großen Moscheestiftungen Mehmeds II. und Süleymâns I. wissen wir, dass auch Derwischerien dazugehörten, die direkt von der Großküche versorgt wurden.
Zu einem
İmâret
gehörten neben der Küche ein Speiseraum, der Keller, Wohnzellen und als Kern ein Backhaus. Hier entstanden die typischen,
Fodla
genannten Fladen. Bei großen Stiftungen gehörte das
İmâret
in die Gruppe der Servicebauten wie die
Tâbhâne
(eine heizbare Herberge) und die Karawanserails für die Tiere von Reisenden. Evliyâs Überblick über die Stiftungsküchen Istanbuls beginnt mit folgenden Worten:
Zu Anfang soll gelobt und gepriesen sein der gnädige Gott, welcher allen Menschen zu Essen gibt, der Schöpfer des von Wohltaten erfüllten Paradieses, gehen doch alle existierenden Wohltaten auf IHN zurück, (wie es im koranischen Vers heißt) «Und es gibt kein Tier auf der Erde, ohne dass Gott für seinen Unterhalt aufkommen würde» (Sure XI, 6). Der Herr der Welt hat die Eroberung Istanbuls dem Ebü’l-Feth (d. i. Mehmed II.) zum Geschenk gemacht. Jener (aber) war der göttlichen Namen «Gnädiger» und «Reich Gebender» eingedenk, handelte wie ein Herrscher und stiftete zunächst zur Speisung der Armen und Reisenden das
İmâret beim
neuen Serail, wo täglich am frühen Morgen und am Nachmittag dreimal Mahlzeiten ausgegeben werden. Außerdem gibt es das (eigentliche)
İmâret
von Sultan Mehmed Hân Ebü’l-Feth und das
İmâret
von Sultan Bâyezîd Hân, wo ebenfalls zweimal täglich für Groß und Klein (einfache Leute und Vornehme) reichlich Essen ausgegeben wird, ohne dass man Erkenntlichkeit erwartet.
Darüber hinaus gibt es noch die
İmârets
von Sultan Selîm I., Sultan Süleymân Hân, des Sehzâde (Prinzen) Mehmed, von Sultan Ahmed Hân, das der Hasekî Sultan unweit des Avret Bazarı, des Vefâ Sultan, das von Eyüb Sultan, das des Sehzâde Cihângir Sultan in der Nähe von Tophane, das der Mihrimâh Sultan auf der Üsküdar-Seite, das der Kösem Sultan, der Mutter von Sultan Murâd IV., des İbrâhîm Hân und des Osmân Hân.
Plan 9: Teil-rekonstruierter Lageplan des Stiftungskomplexes für Sultan Mehmed II. Fâtih
Abgesehen von diesen gibt es in einigen hundert Derwischerien
(tekyeler)
Küchen vom Ausmaß der Küche des Kaykâvûs. Allerdings sind es die (oben) genannten
İmârets
der früheren Sultane, in denen täglich zweimal bis zum jetzigen Zeitpunkt an Arme, Insassen, Jung und Alt, Kommende und Gehende eine Schale Suppe mit einem Stück Brot ausgegeben wird. Dieser Ärmste (Evliyâ spricht von sich) hat in 51 Jahren 18 Kaiser- und Königreiche bereist, ohne etwas (Vergleichbares) von diesem Umfang gesehen zu haben. Die Wohltätigkeit des Hauses Osman möge bis zum Ende aller Zeiten währen!
Evliyâ erwähnt an erster Stelle die Serailküchen, dann weitere 14
İmârets
, meist von Angehörigen des Hauses Osman (Sultanen, Sultansmüttern, Prinzen) und die Küchen der Derwischklöster. Obwohl er diese Einrichtungen mit den Küchen von Kaykâvûs, des mythischen Herrschers der iranischen Tradition, vergleicht, nennt er kein
Tekye
bei Namen. Das überrascht nicht, denn viele «hauptamtliche» Derwische waren selbst Kostgänger bei den Küchen der großen sultanischen Stiftungen. Beim Opferfest sandte das Serail lebende Hammel an ausgewählte Derwischerien.
Das auf den modernen Plänen der Fâtih-Stiftung als
İmâret
bezeichnete Gebäude hat wahrscheinlich nur wenig mit einer Küche zu tun gehabt. Vielmehr wird vermutet, dass es sich bei dem großen «heizbaren Raum»
(Tâbhâne
, Grundriß ca. 5 × 43 m) um die ursprüngliche Küche handelt. Das anschließend von Evliyâ erwähnte
İmâret
gehörte zur Stiftung des Sultan Bâyezîd II. (1506). Es wurde 1882 in den Bau der neuen Staatlichen Bibliothek (Bayezit Devlet Kütüphanesi) einbezogen, deren Adresse «İmâret Sokak No. 18–20» noch an die alte Nutzung erinnert. Sultan Süleymâns
İmâret
ist heute noch ein auffälliger Bestandteil des Süleymaniye-Komplexes unter dem Namen
Dârüzziyâfe
(«Haus der Bewirtung»). Es
Weitere Kostenlose Bücher