Istanbul: Ein historischer Stadtführer
entfernten Wasserstelle in der Wüste («Fata Morgana»)
ein Ermüden am Ende, vergebliches Ermüden;
das Leben gewinnt, wer mit dem Dämon der Wirklichkeit zusammenstößt,
jeder Sieg erfordert auch Schäden
wer nach dem sublimen Ideal läuft,
läuft im Triumph, setzt die Füße freilich schwer und erfüllt von Grau’n,
Vor ihm bebt die Erde und hinter seinem Rücken!
Brände
Die osmanische Dokumentation über Brände ist noch beeindruckender als die über Erdbeben. Es gibt eine Anzahl von selbständigen Augenzeugenberichten in Prosa und gebundener Rede, die Ausbruch und Fortschreiten der säkularen Schadenfeuer in allen Einzelheiten schildern. Diese Texte lassen sich, ähnlich wie ein Teil der Katastrophenkapitel in den Chroniken, als Zeit- und Gesellschaftskritik lesen. Die Autoren treten als Ausleger der göttlichen Wirkungsmacht auf. Wie andere, in der osmanischen Literatur häufig vorkommende Kleinformen verbinden sie manchmal realistisches Erzählen mit teils direkter, teils indirekter Gesellschaftskritik. Allerdings besteht der größte Teil unseres Materials aus mehr oder weniger nüchternen Schadensbilanzierungen, bei denen die Brandursache oft auf die Fahrlässigkeit von Handwerkern zurückgeführt wird und göttliches Eingreifen auf die Lenkung der Flammen durch den Wind in stereotyper Weise beschränkt ist. Der Bericht über einen «kleinen Brand» aus der Chronik des Defterdar Sarı Mehmed Pascha verdeutlicht das. Es handelt sich übrigens bereits um das dritte Brandkapitel des Abschnitts über das Jahr 1094 H./1683 D., in dem der zweite Wienfeldzug stattfand und scheiterte:
Nachts entstand ein Brand in der Gegend des Holztors (Odun Kapısı), am folgenden Tag zur Zeit des Morgengebets breitete er sich Richtung Ayazma-Tor und Süleymaniye aus, als er dort angekommen war, verbrannten sämtliche Hane und Läden zur Linken und Rechten … im Feuer. Es heißt, dass außer den Ladengeschäften mehr als 1000 Wohnhäuser vernichtet wurden und verbrannten. Am 17. des Monats
Rebîülâhir
im genannten Jahr (1094, d. i. 15. April 1683).
Nach einer großen Feuersbrunst im Stadtteil Kumkapı im Jahre 1715 verfasste der am Hof Ahmeds III. wohlgelittene Dichter Osmân-Zâde Tâ’ib (1660?–1724) eine Bittschrift an den Sultan, die mit einem Chronogramm endet. Der Kern des Textes stellt eine Anklage an den verantwortlichen Janitscharenoffizier Hasan Ağa dar. Der «Nemçe» Hasan war ein deutscher Konvertit. Als
Sekbanbaşı
(«Chef der Hundeführer») war er die Nr. 2 im stehenden Heer, unterstand also unmittelbar dem Janitscharen-Aga. Osmân-Zâde machte ihm keinen geringeren Vorwurf, als die Kirchen in Kumkapı vor der Feuersbrunst gerettet zu haben, während die Moscheenund Schulen der Muslime in Asche versanken (der folgende Auszug in der Übersetzung von Hammer-Purgstall).
Es hat der Brand, mein Padischah, uns verzehret
Es hat der deutschen Greueltat uns verheeret,
Gerechtigkeit gib wider solchen Brand,
Der durch Verräterei verheert das Land;
…
Da er auf diese Art die Stadt verheert,
Sei von dem Brand sein Hoffnungsbau verzehrt.
Es brannten hell die Schulen und Moscheen,
Doch ward nicht Feuerhakens Hilf gesehen,
Doch ließ er Müh’ und Arbeit sich nicht reuen,
Um Kirchen von dem Feuer zu befreien,
Er nahm daher wohl sieben Beutel ein,
Und rettet Tischlerzeug zulieb’ den Schrein.
Mein Padischah, so es in der Hauptstadt geht,
Seit Deutscher als Kommandeur ihr vorsteht.
Denn wär’s auch Bestimmung, wär’s auch Pflicht,
Durch Anstalt abzuwehren Zwangsgericht,
Ist billig denn, daß Zahlreim so muß lauten:
Des Vogtes Faulheit die verheerte Stambul’s Bauten.
Tâ‘ibs Empörung hatte sicher auch damit zu tun, dass sein Vater Osmân in dem verwüsteten Stadtteil Kumkapı 1688 eine kleine Medrese gestiftet hatte, an der er seine erste Lehramtsstelle erhalten hatte. Wahrscheinlich ist sie im Brand von 1715 beschädigt worden. Jedenfalls kommen andere Medresen in diesem überwiegend armenischen Viertel gar nicht in Frage. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Text die Ursache für Hasan Ağas Absetzung war. Ob seine «deutsche» Herkunft eine Rolle gespielt hat, ist schwer zu sagen. Übrigens sehen wir Hasan 1731 erneut als Sekbanbaşı fungieren.
Eine kleine Schrift, die unter dem Titel «Das Feuer der Wissenden im Gedenken an die Armen» etwa im Jahr 1783 entstand, ist im Zusammenhang mit den Themen Brandkatastrophen besonders wichtig. Ihr Verfasser, Dervîş Efendi-Zâde Mustafâ Efendi
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