Italienische Novellen, Band 3
mußte, nun als einzige, aber unzweifelhafte Thronerbin übrigblieb. Sie hatte aber von der königlichen Würde nichts als den Titel Königin und war nebst ihrer Mutter von dem grausamen, wenngleich glühend in sie verliebten Manne unter dem äußern Vorwande der Bewachung und des Anstandes in der Felsenburg der Stadt eingeschlossen, wohin außer einigen wenigen Hofdamen selten oder nie jemand gelangte. Außer den andern über sie ergangenen Leiden war auch darüber die Stadt in großem Jammer und Mitleid, da man so vor den Augen sich den einzigen übrigen Tropfen des königlichen Blutes in der Gefangenschaft verzehren sah, und neben dieser Crudarte beleidigenden Traurigkeit hatte sie fortwährend die schmerzlichen Folgen ihres unnützen Mitleids zu tragen. Der Tyrann las auf der Stirne der Bewohner der Stadt den Unwillen über sein Regiment, der sie beseelte; er hielt sich dadurch schwer beleidigt und schritt deshalb bald unter diesem, bald unter einem andern Vorwande schamlos mit Verbannungen, Gefängnis- und Todesstrafe ein, um sich zu rächen; so daß die Guten kein besseres Mittel zu ihrer Rettung wußten, als sich schlecht zu stellen, und die Schlechten, sich zu Werkzeugen seiner Roheiten herzugeben. Auf diese Weise war in kurzem die Stadt verödet und die Insel von allen Männern von einigem Geiste entvölkert, und jener genoß fast nur unter rohem Pöbel die Ruhe des Reiches in einem Meere von Verruchtheiten.
Bei diesem Stande der Dinge landete Agisulf an der Schwelle der Insel, verfügte sich von dort nach der Hauptstadt und hielt dort sorgfältig Wache, ob er irgendwo den königlichen Vorläufer des verheißenen Glückes aufgehen sehe. Er versäumte unterdessen nicht die Aufgabe seiner obengenannten poetischen Bestrebungen, sondern streute vielmehr selbige gar häufig mittels vieler nicht unedler Proben aus und bemerkte mit unendlichem Vergnügen, wie in dem allgemeinen Beifall glänzende Keime des Ruhmes emporsproßten. So war er in kurzem nicht nur von dem rohen Pöbel geliebt und geehrt, sondern er sah sich auch bewundert von solchen, die auf einer höheren Stufe des Ansehens standen. Er machte endlich in Form von Orakelsprüchen einige Prophezeiungen eines der ganzen Insel bevorstehenden Glückes bekannt und fand dafür auch, wie es im Unglück zu geschehen pflegt, leicht Glauben; ja, er setzte sich bei den Einfältigen bald in das Ansehen eines himmlischen Boten, eines Gottmenschen.
Crudarte blieb der Beifall, den Agisulf erntete, keineswegs verborgen, und bei der Gewissensangst, der strengsten Henkerin der Verbrecher, fürchtete er von der Stimmung des Volkes irgendeinen Umschwung und hätte gerne den Entschluß gefaßt, ihn umzubringen oder zu verbannen: aber aus Angst, das Volk möchte, erbittert durch die täglichen Aufwiegelungen, die Lockspeise bereits im Busen fertig tragen, um bei dem nächsten Anlaß einer neuen Beleidigung das Feuer des Aufruhrs in sich aufzunehmen, enthielt er sich dessen und ging vorsichtiger zu Werk. Er rief ihn an den Hof; er sah, daß er ein Mensch von sehr schönem Äußeren war; er erkannte in seinen Gesprächen auch seinen schönen Verstand und merkte unter andern guten Eigenschaften an ihm auch die, daß er vollkommen die schwere Kunst des Regierens verstand. Er bewunderte seine Anmut, seine Würde, seinen Geist und ernannte ihn zu seinem Rat, in der Absicht, nicht sowohl die Tugend zu belohnen, der er diametral widerstrebte, sondern um sich derselben zu bedienen, um desto leichter die Tyrannei seiner angemaßten Herrschaft aufrechtzuerhalten. Er wußte, wie sehr er dazu helfen könnte, ihm die Neigung des Volkes zu gewinnen, durch seine Anmut und seine Beredsamkeit. Er bemäntelte mit schönen Worten den wirklichen Sinn seiner Entschließungen und hätte so leichter als jeder andere seiner Untertanen bereitwillig sich das können aneignen machen, was mit Drohungen und Gewalt nicht möglich gewesen wäre. Aber mehr als alles andere lag ihm am Herzen, daß er allein durch das Ansprechende seines Betragens und den Honig seiner Überredungskunst es dahin brächte, ihm seine ersehnte Königin Rosmonda ohne Zwang zur Gattin zu erwerben. Ich weiß nicht, soll ich sagen, daß Crudarte mehr vom Ehrgeiz oder von der Liebe tyrannisiert war? Mir scheint es fast, die beiden Leidenschaften beherrschten ihn gleichmäßig im äußersten Grade; doch kann ich dabei mich leicht überzeugen, daß weniger als die Liebe ihn der Ehrgeiz quälte; denn für den letztern fand er wenigstens
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