Italienische Novellen, Band 3
ihrer Wohnung zurückzukehren.
Als sie Beliarco nicht mehr in ihrem Zimmer vorfindet und sich also die Hoffnungen entzogen sieht, deren Befriedigung hienieden einen Vorgeschmack der himmlischen Seligkeit gewährt, der Anbruch des Tages aber noch in weiter Entfernung liegt, so bricht ihr wilder Schmerz in die leidenschaftlichsten Klagen aus. Sie zeiht ihren Geliebten des Kleinmuts, der Lieblosigkeit, des Unbestandes, der Kälte und Zaghaftigkeit, und da sie dem sie verzehrenden Feuer ihrer Begierden in ihrer Einsamkeit nicht Einhalt zu tun vermag, so begibt sie sich zu ihrer Tochter, um den übrigen Teil der Nacht mit einiger Erleichterung zuzubringen und das liebliche Mädchen durch die Kunde von der Geburt des kleinen Kindes zu erfreuen. Das Kabinett offen findend, gewahrt sie ihre Tochter nackt in Beliarcos Umarmungen. Die Verwirrung, die ihr dieser unerwartete plötzliche Anblick erregte, war so grenzenlos, daß sie ihre Lebensgeister dem Ersticken nahebrachte, ihre Augen mit Dunkel umschieierte und sie selbst unter der Last ihres Schmerzes bewußtlos zu Boden warf. Das Geräusch ihres Falles erweckte Beliarco aus seiner verliebten Trunkenheit und Zafira aus ihrem Schlummer, die, als sie sich in ihrem schamhaften Zustande so nah bei einem Manne sah, aufschrie, verraten zu sein, ihre Blößen bedeckte und bitterlich zu weinen anhub. Ohne darauf zu achten, sprang Beliarco aus dem Bette, um der auf dem Boden liegenden Celidea beizustehen. Als er aber alle Zeichen des Todes in ihrem Antlitz erkannte und es bleich, starr und kalt fand, vermochte auch er, obwohl er seine ganze Kraft zusammennahm, sich nicht aufrechtzuerhalten, sondern erlag der Angst, die ihm das Herz gewaltsam zuschnürte, und sank besinnungslos neben Celidea hin.
Die mit einem Nachtgewande notdürftig bekleidete, auf diese kläglichen Ereignisse herzugeeilte Zafira wollte um Hilfe rufen; da aber in diesem Augenblicke ihrem Gefühl kein anderer Ausdruck zu Gebote stand als Tränen, so äußerte sie ihr Leidwesen nur darin, daß sie sich so lange die Brust zerschlug und die Haare zerraufte, bis ihre Mutter, deren Angesicht sie mit ihren Tränen badete, und deren Namen sie mit der innigsten Betrübnis zu immer wiederholten Malen auf das zärtlichste anrief, mit einem tiefen Seufzer sich das Herz erweiternd, wieder ins Leben kam. Als nun Celidea ihre weinende Tochter über sich hingebeugt sah und das unwidersprechlichste Zeugnis ihrer Unschuld eben in den Tränen erkannte, mit denen sie die Spuren der ihr von einem so unreinen Mund aufgedrückten Küsse vertilgen zu wollen schien, war es ihr erster, von dem Mitleiden mit ihr erweckter Gedanke, ihre wiedergekehrten schwachen Kräfte in Vorwürfen gegen den undankbarsten aller Männer zu erschöpfen. Ihre Augen suchten Beliarco und erblickten ihn regungslos neben ihr ausgestreckt. Da erwachte schnell die alte Liebe wieder, die der unglückliche Moment jenes Anblicks doch nicht mit einem Male hatte auslöschen können. Ihre großmütige Seele verwarf allen Zorn über seine Verräterei, und sie fühlte sich gedrungen, ihm auf das liebevollste beizustehen. Sie befeuchtete ihn mit ihren Tränen, erwärmte ihn mit dem Hauche ihrer Seufzer, rieb ihn mit ihren Händen, und so mochte es wohl leicht geschehen, daß die Lebenskräfte dieser Augen, dieses Mundes und dieser Hände auch Beliarco von dem Scheine des Todes entfesselten. Wie ihn Celidea nun offenbar der Gefahr entronnen, obwohl dem Ansehen nach eher tot als lebendig vor sich sah, weil ihm das Bewußtsein seines gegen sie verschuldeten Betruges keinen Blutstropfen in das Gesicht kommen ließ, stürmten die verschiedenartigsten Gefühle, Liebe, Zorn und Mitleiden, auf sie ein, von denen ein jedes den Sieg für sich, entweder mit Liebe oder Rache oder Vergebung, in Anspruch nahm.
Zuletzt machte sich der gute Genius geltend, der von dem Menschen selten vor seinem letzten Atemzuge abläßt, und sie brach nach kurzem Nachsinnen in die folgenden Worte aus: »Ich weiß nicht, Beliarco, ob ich mich mehr über mich oder über Euch betrüben soll? Über Euch, weil Ihr Euch mir, die ich mich Euch gänzlich zu eigen gegeben habe, mit solchem Unbestande so schnell entziehen und einer anderen widmen konntet. Über mich, weil ich unkeusche Lüste und Neigungen mit Verleugnung jedes bessern Gefühls in mein Herz aufnahm, anstatt, meiner heiligen Verpflichtungen eingedenk, mich in dem Angedenken meines vielbeweinten Gatten Floriandro rein und schuldlos zu erhalten. Über
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