Ivanhoe
wenn du dieses Ziel triffst, so will ich dich für den besten Schützen erklären, der je gelebt hat.«
»Ach will mein Bestes tun,« antwortete der Yeoman. »Wie Hubert sagt, ein Mann tut, was er irgend kann.« Abermals spannte er den Bogen, diesmal mit großer Sorgfalt und zog eine andere Sehne ein, weil ihm die alte nicht straff genug erschien. Dann zielte er.
Mit atemloser Spannung harrte die Menge. Der Schütze aber erfüllte die kühnsten Erwartungen und spaltete die Gerte mitten entzwei. Lauter Jubel erscholl, und selbst Prinz Johann fühlte seinen Widerwillen gegen den Mann schwinden. »Diese zwanzig Nobles sind dein,« sagte er, »aber ich will dir fünfzig geben, wenn du unsere Livree anziehen und in unsere Leibgarde eintreten willst, denn noch nie hat eine stärkere Hand den Bogen gespannt und noch nie ein sichereres Auge den Pfeil geleitet.«
»Verzeiht, edler Prinz,« antwortete Locksley. »Ich habe mir selber gelobt, niemals Dienste zu tun, es sei denn bei Euerm königlichen Bruder Richard Löwenherz. Die zwanzig Nobles hier lasse ich Hubert, der heute einen ebenso guten Bogen geführt hat, wie sein Großvater bei Hastings. Wenn er nicht aus Bescheidenheit den Versuch unterlassen hätte, so hätte er die Gerte gerade so gut getroffen wie ich.«
Hubert schüttelte den Kopf und nahm das Anerbieten des Fremden nur mit Widerstreben an, Locksley aber verschwand im Gedränge und wurde nicht mehr gesehen. Vielleicht hätte ihn Johann nicht so ohne weiteres gehen lassen, aber wichtigere Dinge erforderten jetzt seine Aufmerksamkeit, er gab einem Kammerherrn den Auftrag, sofort das Signal zur Räumung der Schranken geben zu lassen und ohne Säumen nach Ashby zu reiten, den Juden Isaak aufzusuchen.
»Sagt dem Hunde,« befahl er, »er soll mir, noch ehe die Sonne versinkt, zweitausend Kronen schicken. Er weiß, was dagegen verpfändet wird, und als Ausweis zeigt ihm den Ring hier. Sagt ihm, wenn er es nicht pünktlich besorgt, laß ich ihm den Kopf abschlagen.«
Mit diesen Worten stieg der Prinz zu Pferde, um selber nach Ashby zurückzukehren. Auf verschiedenen Wegen heimwärts eilend, verlief sich die Menge.
Zwölftes Kapitel.
Das Festessen des Prinzen Johann fand im Schlosse zu Ashby statt. Es war dies nicht dasselbe Gebäude, das noch heute dort das Auge des Reisenden auf sich zieht. Schloß und Stadt Ashby gehörten damals Roger Quincy, Grafen von Winchester, der zu jener Zeit im heiligen Lande weilte, aber inzwischen hatte Prinz Johann das Schloß mit Beschlag belegt und über den Grundbesitz ohne Bedenken verfügt. Jetzt kam es ihm darauf an, die Augen der großen Welt durch Luxus und Pracht zu blenden, und deshalb waren umfassende Vorkehrungen zur Veranstaltung eines überaus prunkvollen Gastmahles getroffen worden. Die Hofkuriere des Prinzen, die bei derartigen Gelegenheiten die königliche Vollmacht besaßen, hatten alles im Lande aufgeboten, was nur irgend zu der Tafel ihres Herrn zulässig war. Eine große Anzahl von Gästen war geladen worden, und da Prinz Johann darauf angewiesen war, die Stimme der Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, so waren neben dem normännischen Adel auch mehrere weniger hervorragende dänische und sächsische Familien zu Gaste gebeten worden.
Wenn man auch die Angelsachsen verachtete und knechtete, so konnten sie doch bei dem nunmehr mit Sicherheit bevorstehenden Bürgerkriege durch ihre große Zahl gefährlich werden, und die Klugheit gebot, sich wenigstens mit ihren Oberhäuptern auf guten Fuß zu stellen. Es war daher die feste Absicht des Prinzen, diese an seinem Tische seltenen Gäste aufs höflichste zu bewirten, und er behandelte mit der größten Zuvorkommenheit Cedric und Athelstane. Er äußerte liebenswürdig sein Bedauern über die Unpäßlichkeit der Lady Rowena. Cedric hatte dies als Grund angegeben, weshalb sie seiner gnädigen Einladung nicht Folge leisten könne. Cedric und Athelstane trugen beide die altsächsische Tracht, die zwar an sich nicht geschmacklos war und bei dieser festlichen Gelegenheit aus kostbaren Stoffen bestand, aber sie gab einen so hellen Kontrast zu dem Aufputz der anderen Gäste, daß sich Johann Fitzurses wegen Gewalt antun mußte, um nicht laut aufzulachen. Allen aber, die noch ein vernünftiges Urteil hatten, erschien der lange Mantel und die kurze Tunika, wie sie die Sachsen trugen, praktischer und kleidsamer als das weite Unterkleid der Normannen, das wie ein Fuhrmannskittel aussah; das enge Oberkleid darüber schien nur
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