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Ivo Andric

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Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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als daß sie den Ortsbewohnern und ihrem Vieh zum Übergang
dient, sondern immer nur die Steinbrücke über die Drina.
    Die Brücke ist etwa
zweihundertfünfzig Schritte lang, und breit ist sie rund zehn Schritte, außer
in der Mitte, wo sie sich zu zwei völlig gleichen Terrassen zu beiden Seiten
der Fahrbahn erweitert und so doppelte Breite erhält. Dieser Teil der Brücke
heißt die Kapija, das Tor. Dort sind nämlich auf dem mittleren Pfeiler, der
sich nach oben verbreitert, auf beiden Seiten Auslässe angebaut, so daß auf
diesem Pfeiler, links und rechts der Fahrbahn, je eine Terrasse ruht, kühn und
harmonisch aus der Gradlinigkeit der Brücke hinausgeschoben in den Raum über
dem brausenden, grünen Wasser in der Tiefe. Sie sind etwa fünf Schritte lang
und ebenso breit, von einer steinernen Einfassung, wie auch die ganze Brücke
in ihrer Länge, umgrenzt, aber sonst offen und ohne Dach. Die linke Terrasse,
wenn man aus der Stadt kommt, heißt das Sofa. Sie liegt zwei Stufen höher und
wird eingefaßt von Sitzbänken, die an der Brüstung entlang führen. Stufen,
Sitze und Einfassung sind alle aus dem gleichen hellen Stein, wie aus einem
Guß. Die rechte Terrasse, gegenüber dem Sofa, ist die gleiche, nur leer und
ohne Sitze. Aber auf der Mitte ihrer Einfassung erhebt sich eine Mauer bis über
Manneshöhe; darin ist in ihrem oberen Teil eine Platte aus weißem Marmor
eingelassen, die eine reiche türkische Inschrift – Tarich – mit einem
Chronogramm trägt, die in dreizehn Versen den Namen dessen nennt, der die
Brücke erbaute, und das Jahr, in dem sie erbaut wurde. Dem unteren Teil der
Mauer entfließt ein Quell; ein dünner Wasserstrahl aus dem Maul eines
steinernen Drachen. Auf dieser Terrasse hat sich der Kaffeeverkäufer mit seinen
Töpfen und Kaffeeschälchen, dem immer glühenden Kohlenbecken und dem Jungen
niedergelassen, der den Gästen auf dem Sofa gegenüber den Kaffee bringt. Das
ist die Kapija.
    Auf der Brücke und ihrer Kapija, um
sie und in Verbindung mit ihr verläuft und spielt sich, wie wir sehen werden,
das Leben des Menschen aus der Stadt ab. In allen Erzählungen über
persönliche, häusliche und gemeinsame Erlebnisse kann man immer wieder die
Worte »auf der Brücke« hören. Und in der Tat, auf der Drinabrücke tun die
Kinder ihre ersten Schritte, spielen die Jungen ihre ersten Spiele. Die
christlichen Kinder, geboren auf dem linken Drinaufer, gehen schon in den
ersten Tagen ihres Lebens über die Brücke, denn schon in der ersten Woche
bringt man sie zur Taufe in die Kirche. Aber auch alle anderen Kinder, auch die
auf dem rechten Ufer geborenen und die mohammedanischen Kinder, die überhaupt
nicht getauft werden, haben, genau wie einst ihre Väter und Großväter, den
größten Teil ihrer Kindheit in der Nähe der Brücke verbracht. Sie haben an ihr
Fische geangelt oder unter ihren Bögen nach Tauben gejagt. Von ihren jüngsten
Jahren an haben sich ihre Augen an die harmonischen Linien dieses großen
Bauwerkes aus hellem, porösem, genau und makellos behauenem Stein gewöhnt.
Alle meisterhaft gearbeiteten Rundungen und Vertiefungen wie auch alle
Erzählungen und Legenden haben sie kennengelernt, die sich an das Bestehen und
den Bau der Brücke knüpfen, in denen sich wundersam und unentwirrbar Phantasie
und Wirklichkeit, Wachsein und Traum verflechten. Von jeher haben sie sie so
gekannt, unbewußt, als hätten sie sie mit auf die Welt gebracht, so wie man
Gebete kennt, ohne sich zu erinnern, von wem man sie gelernt noch wann man sie
zum erstenmal gehört hat.
    Sie wissen, daß Großwesir Mechmed
Pascha die Brücke erbaut hat, dessen Geburtsdorf Sokolowitschi ist, dort hinter
einem der Berge, die Brücke und Stadt umrahmen. Nur der Wesir konnte alles
geben, was man braucht, um dieses unvergängliche Wunder aus Stein zu bauen.
(Der Wesir – das ist im Bewußtsein der Kinder irgend etwas Herrliches, Gewaltiges,
Furchtbares und Ungewisses.) Gebaut hat sie Rade, der Baumeister, der
Jahrhunderte hätte leben müssen, um alles zu bauen, was es an Schönem und
Ewigem in serbischen Landen gibt, ein legendärer und wahrhaft namenloser
Meister, wie ihn sich jede Masse erdenkt und wünscht, denn sie mag nicht viel
im Gedächtnis behalten müssen noch vielen etwas schulden, und sei es auch nur
in der Erinnerung. Sie wissen, daß die Wassernixe, die Vila, den Bau gestört
hatte, so wie schon immer und überall irgendwer jeden Bau stört, und nachts
hatte sie das abgerissen, was am Tage

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