Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
wieder dieses Klingeln in den Ohren – es war ihr gar nicht aufgefallen, dass es im Inneren von Firestone Library aufgehört hatte. Energisch warf sie ihren Kopf hin und her, als könne sie das Geräusch herausschütteln. Dann suchte sie den großen Platz nach Tye ab.
Wieso war sie eigentlich so begierig darauf, ihn zu sehen? Okay, er hatte einen Witz über wild gewordene Bücherkarren gemacht, aber vor den Regalen hatte er sie nicht gewarnt. Eins musste sie sich auf jeden Fall merken: Wie süß er auch immer sein mochte – ihr Verbündeter war er nicht unbedingt.
Sie entdeckte ihn drüben auf der anderen Seite des Platzes. Er hatte einen Fuß auf die erste Stufe der Kirchentreppe gestellt und redete mit jemandem, den Lily nicht sehen konnte. Wahrscheinlich machte er sich gerade über die bedauernswerte Pennälerin lustig, die er quasi mit der Nase auf die Orange Key Tour hatte stoßen müssen und die wegen ein paar ferngesteuerter Bücherregale fast einen Herzinfarkt erlitten hätte.
Als sie näher kam, schnappte sie ein paar Satzfetzen auf: » … alter Wurm … keine Ahnung, warum ich es überhaupt versuche … dir ganz bestimmt nicht … so dumm sind nicht mal die … « Seltsamerweise war weit und breit kein Gesprächspartner zu sehen. Tye hatte den Blick nach oben gerichtet, auf die Steinmetzarbeiten über dem Portal. Ein Band aus steinernen Blättern und Trauben schmückte den Bogen, in das hier und dort Füchse, Vögel und Eidechsen eingearbeitet waren. Lily konnte nicht erkennen, was daran so faszinierend sein sollte. Die einzige Figur, die ihre Aufmerksamkeit erregte, war ein kleiner Drache, dessen s-förmiger Körper sich zwischen den Weinranken schlängelte. Sein gekrümmter Hals hing an einer steinernen Kette, und er schaute mit traurigen Hundeaugen über den Platz.
Sie trat hinter Tye und fragte: »Was geht hier eigentlich ab? Warum sind denn alle so besessen von den Gargoyles? Die Fremdenführerin, die Old Boys, du … «
Blitzschnell wie eine Katze, die sich auf eine Maus stürzt, fuhr er herum. »Hey! Du bist zurück! Toll!« Er warf ihr sein berühmtes schiefes Lächeln zu. Dann packte er sie beim Ellenbogen und führte sie hastig ein Stück zur Seite, als sei die Kirche keine Kirche, sondern ein Busch Giftsumach. Statische Entladungen begannen dort zu kribbeln, wo er sie berührte.
»Irgendwas rausgefunden in der Bibliothek?«
Lily nickte. »Ich soll zu Professor Ape gehen.«
»Huh.« Er klang überrascht.
Offensichtlich hatten ihn die Old Boys noch nicht informiert, stellte Lily erstaunt fest. »So lautet zumindest der Hinweis, den ich in dem Spezialkatalog fand, zu dem mich ein paar wild gewordene Bücherregale geschubst haben«, erklärte sie.
Er zog die Augenbrauen hoch.
»Ziemlich abgefahrene Nummer.«
Tye glotzte sie verständnislos an.
»Na ja, monstermäßig eben. Bewegten sich von ganz alleine, die ollen Dinger. Sehr seltsam.« Sie verstummte. Okay, jetzt hatte sie sich aber wirklich genug zum Deppen gemacht. »Wie auch immer. Ich, ähm, ich muss jetzt los, einen Stein finden.«
»Er ist am Dyllon Gym«, sagte Tye. »Du weißt nichts über die Gargoyles von Princeton?«
»Die wahren Professoren von Princeton?«, ahmte Lily spöttisch die Fremdenführerin nach. Sie schüttelte den Kopf. »Was haben die denn mit dem Schlüssel und dem Legacy Test zu tun?« Komm schon, dachte sie insgeheim, gib mir einen Tipp! Für die Old Boys schienen die Gargoyles ja ein wichtiges Thema zu sein, aber wo sollte denn da die Verbindung zu einem Schlüssel sein?
»Du weißt es wirklich nicht«, stellte Tye fest, mehr zu sich selbst als zu Lily gewandt. Dann strahlte er sie an, als hätte sie soeben etwas Fantastisches vollbracht. »Und ich dachte, es würde ein langweiliger Tag werden.« Er schlug ihr auf die Schulter. Wieder lief dieses Prickeln in kleinen Wellen ihren Arm hinunter. »Komm mit. Lass uns ein paar Dinge rausfinden.«
Er nahm Kurs auf den Torbogen von East Pyne und winkte noch einmal hoch zu der Blinden Leserin. Lily blickte zu dem Gargoyle hinauf und fragte sich, ob die Old Boys, die den Hinweis für sie dort deponiert hatten, von dem Buch ihres Vaters wussten. Sie fragte sich, ob Tye davon wusste. Während sie ihm durch den Torbogen in den efeuüberwucherten Innenhof folgte, nahm sie all ihren Mut zusammen. »Kann ich dich was fragen?«
»Ja, das ist meine natürliche Haarfarbe.«
Sie grinste. »Ich mein’s ernst.«
»Okay, leg los«, sagte er und blieb stehen.
So
Weitere Kostenlose Bücher