Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
verlangte Jake und hielt Lily an der Schulter fest, bevor sie ihm folgen konnte. »Oder wir gehen keinen Schritt weiter. Ich werde nicht zulassen, dass du Lily in Gefahr bringst.«
Lily starrte ihn an, ihren edlen Nachwuchsritter in schimmernder Rüstung. Er glich so gar nicht mehr demjenigen, der sie ein Monster genannt hatte.
»Dein Milchgesicht scheint so seine Probleme mit Vertrauen zu haben«, kommentierte Tye Richtung Lily. Zu Jake sagte er: »Ich bin ein Schlüssel. Wir gehören auf keine Seite. Wenn wir uns für eine entscheiden, sterben wir. Einer der vielen Vorteile. Außerdem, sind wir nicht eigentlich Verbündete?«
»Jake, bitte«, sagte Lily und berührte ihn leicht am Arm. »Ich habe keinen besseren Plan. Du etwa?«
Jake machte den Mund auf und wieder zu. Dann ließ er ihre Schulter los.
Lily folgte Tye über die Schwelle, dann kam Jake. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, eilten sie zu dritt einen Korridor entlang, der wie ein Kellergang aussah: Rohre entlang der Decke, Betonfußboden, graue Wände.
»Jetzt erzählt mal: Wie ist es euch gelungen, den Zorn meines geschätzten Herrn Vaters zu erregen?«, fragte Tye neugierig.
Lily zögerte mit ihrer Antwort. Sie war sich nicht sicher, ob sie zugeben sollte, dass sie möglicherweise den Deckel zum Sarg eines jahrhundertealten Bündnisses zugenagelt hatten. »Ich schätzte mal, es hatte was mit Jakes Messer zu tun.«
Jake pflichtete ihr bei. »Ja, er hat klar an dem Messer Anstoß genommen.«
»Du hast eine Waffe in die Ratshalle geschmuggelt?« Tye stieß einen Pfiff aus. »Und sie haben euch bloß in einen Warteraum gesetzt? Wow, du musst ja echt lausig sein mit der Klinge.«
Lily fuhr zusammen.
Jake entgegnete: »Um ein Haar hätte ich das Monster aufgeschlitzt, das du deinen Vater nennst.«
Zu ihrer großen Überraschung fing Tye an zu lachen. »Oh, wie gerne hätte ich sein Gesicht gesehen.«
»Magst du deinen Vater so wenig?«, wollte Lily wissen.
»Dein Milchgesicht wäre nie imstande gewesen, ihm auch nur ein Haar zu krümmen«, gab Tye zurück. »Aber es ist schon furchtbar lange her, seit jemand etwas anderes gemacht hat, als ängstlich vor ihm in Deckung zu gehen.«
»Du vermutlich eingeschlossen«, sagte Jake, und Abscheu troff aus seiner Stimme.
»Absolut«, meinte Tye. »Ich bin doch nicht lebensmüde.«
Sie bogen um eine Ecke, hinter der sich trist und grau ein weiterer Gang erstreckte. Er schien so lang zu sein wie ein Footballfeld und endete in dunklen Schatten. Aus der Ferne leuchtete ihnen rot ein Schild mit der Aufschrift Ausgang entgegen.
Dort angekommen, legte Tye den Finger auf die Lippen. Dann drückte er die Tür auf und führte sie in einen mit Teppich ausgelegten Flur, den auf beiden Seiten Bürotüren säumten. An seinem Ende befand sich eine hölzerne Tür mit einem Fenster, durch das Tageslicht hereinfiel. Diesmal war es eine Tür, die ins Freie führte.
»Wo sind wir?«, fragte Lily.
»Schhh«, machte Tye.
Jake antwortete an seiner Stelle: »Stanhope Hall, liegt gleich gegenüber von Nassau.«
Tye funkelte ihn wütend an und zischte: »Welcher Teil von ›Schhh‹ war nicht klar?« Er spähte in eins der Büros. »Zum Glück ist keiner hier«, meinte er. »Eigentlich hätten sie uns schon erwischen müssen.«
»Du hast damit gerechnet , erwischt zu werden?«, entfuhr es Jake.
Tye zuckte mit den Schultern. »War doch mehr als wahrscheinlich. Normalerweise stehen diese Gebäude niemals vollständig leer.«
»Und, vertraust du ihm immer noch?«, wollte Jake von Lily wissen.
»Ja«, lautete ihre einfache Antwort.
Dann ging sie auf das Sonnenlicht zu, das durch das Fenster in der Tür hereinschien. Beide Jungs traten ihr in den Weg, bevor sie es erreichen konnte.
»Du erkundest die Lage, ich halte Wache«, sagte Jake.
»Klingt logisch«, stimmte Tye zu und schoss zur Tür hinaus, noch ehe Lily etwas sagen konnte. Ein paar Sekunden später war er zurück.
»Garten sauber.«
Dicht gefolgt von Jake trat Lily ins Freie und wandte ihr Gesicht der Sonne zu. Um sie herum begannen Pflanzen beruhigend zu summen. »Wie fühlst du dich, Jake?«, fragte sie.
Er warf ihr sein umwerfendes Lächeln zu. »Zu allem bereit.«
»Hast du Kopfschmerzen? Schwarze Punkte vor den Augen? Schwierigkeiten beim Atmen?«
Er runzelte die Stirn. »Ich … «
Tye klopfte ihm auf den Rücken. »Ein echter Ritter. Kennt keinen Schmerz.«
Lily musste an Grandpa in seinem Krankenbett denken, und ihr Gesicht
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