Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen
Tag in deiner Heimat, zwingt man mich, vor der versammelten Bevölkerung die Jungfrau zu geben und einen fremden Mann zu küssen. Da hattest du es in Bayern einfacher.»
Na ja, ich musste im Schlafanzug auf einem Ochsen reiten, habe mir beim traditionellen Peitschenknallen die Schulter ausgekugelt und auf einem Haxenknochen Flöte gespielt. Das Oktoberfest will ich gar nicht erwähnen. Deshalb halte ich lieber den Mund und lasse Roni in dem Glauben.
Endlich erklärt der Bürgermeister die Wanderung für eröffnet. Die Menge setzt sich in Bewegung und bleibt gleich wieder stehen. Roni schaut nach links und rechts: «Ist frei, wir können rüber.»
Aber niemand geht. Denn im Gegensatz zu ihr wissen alle anderen, dass auf einer Grünkohlwanderung an jeder Kreuzung gebechert wird. Aber sie wollte ja ihre eigenen Erfahrungen machen.
Den ersten Schnaps schenkt meine Oma persönlich aus; sie hat ihn selbst angesetzt, «aus Partyresten», wie mir Cousin Mike zuflüstert. Meinen Bembel macht sie randvoll. Die will wohl, dass ich nochmal bei ihr im Wohnzimmer übernachte.
«Prost, Cousin.»
«Zickezackezickezacke», ruft Oma. Die Tiefenwalder Hundertschaft antwortet wie aus einem Mund: «Heu, Heu, Heu» und stürzt das Partygesöff hinunter. In der Tat erinnert der Geschmack ein wenig an Blue Curaçao. Wenn Roni nicht dabei wäre, würde ich es jetzt richtig krachen lassen. Aber ich bin ja keine sechzehn mehr.
Die Gruppe setzt sich wieder in Bewegung. Da ruft Carsten: «Da hinten! Eine Kreuzung! Zickezackezickezacke!»
«Heuheuheu», höre ich meine Sippe antworten. Der nächste Schnaps. Zweihundert Meter weiter sind wir an der Kreuzung angekommen und heben erneut die Gläser, weil einige Ältere vergessen haben, dass wir sie bereits angemessen gewürdigt haben.
Als Omas Mixtur alle ist, wechseln wir zu «Lockstedter», einem Ingwerschnaps, der so sehr im Hals brennt, dass es mich schüttelt. Wie kann man so etwas nur freiwillig trinken? Onkel Fritz setzt nach dem ersten Lockstedter seinen Bembel ab und wirkt enttäuscht. «Früher war der schärfer.»
Auch Roni hat schon rote Bäckchen. «Dieser Ingwerschnaps schmeckt gar nicht so schlecht», meint sie. «Komm, einen trinken wir noch.» Sie bleibt stehen, legt den Kopf in den Nacken und ruft: «Zickezackezickezacke!»
Meine Familie bleibt stehen und schaut sie verwundert an. «Warum soll denn jetzt getrunken werden?», will Benni wissen, obwohl Kinder ohnehin nicht mitmachen dürfen. Sie fungieren auf dem Hinweg als Schiedsrichter und auf dem Rückweg als Blindenhunde.
Jetzt erkläre ich Roni doch die Regeln: «Getrunken wird nur an jeder Kreuzung und an jedem Mast, den wir passieren.»
«Meine Mutter kommt aus Niedersachsen, mein Vater aus Bayern. Hurra, ich bin selbst eine Kreuzung», ruft Roni. «Zickezackezickezacke!»
«Heuheuheu!», antwortet meine Familie, und wir heben die Bembel.
Zum Glück führt der Weg jetzt erst mal eine Weile geradeaus. Carstens Versuch, die Regeln dahingehend zu beugen, dass Bäume als Urform von Masten durchgehen, wird von den Älteren mit dem Hinweis abgelehnt, dass wir im Magen noch Platz für Grünkohl mit Pinkel brauchen. Zum Glück hört man hier noch auf Ältere. Mein Vater geht neben meiner Mutter, sie diskutieren; fast wie früher, nur dass sich ihre Hände jetzt nicht mehr berühren.
Mike ist zu mir aufgeschlossen. «Fiese Sache mit deinen Eltern, was?»
Ich nicke.
«Und willst du immer noch heiraten?»
Ich nicke erneut.
«Wann ist denn dein Junggesellenabschied?»
«Ich weiß noch nicht. Hat sich noch keiner drum gekümmert.»
Bis jetzt weiß ich ja nicht einmal, wo ich meine Hochzeit feiern soll. Diese Junggesellenabschiede sind mir eigentlich auch zu prollig.
«Ich habe jedenfalls keine Lust, kurz vor meiner Hochzeit in ein Bordell verschleppt zu werden oder in der Fußgängerzone mit viel zu kleinen Frauen die Unterwäsche zu tauschen.»
Mike nickt bedächtig: «Ich weiß, so was ist ja auch gar nicht dein Stil. Ich meine einen Junggesellenabschied, der zu dir passt – einen mit Niveau.»
Ist da Ironie in seiner Stimme? Nee, so was gibt es hier auf dem Land nicht.
«Ja, das wäre schon nett, aber mein Trauzeuge muss so viel arbeiten.»
Lachend nimmt mich Mike in den Schwitzkasten, als wäre ich immer noch ein kleiner Junge. «Wofür hat man denn eine Familie?», fragt er, rubbelt mir mit der Faust über den Kopf und zieht mich zu Roni, die sich gerade mit einem Großonkel unterhält, dessen Name mir
Weitere Kostenlose Bücher