Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen
Wirtschaft» gegangen.
Meine Mutter wirkt ein wenig abwesend. Manchmal mustert sie Roni, dann schweifen ihre Augen von ihr zu mir. Als ich ihren Blick erwidere, fragt sie mich im Analysten-Tonfall nach meinem Leben in München und will wissen, ob ich Berlin vermisse. Als ich weggezogen bin, war sie die Einzige, die meinen Umzug in die große Stadt unterstützt hat. Kein Wunder, sie hat selbst Ende der Sechziger in Kreuzberg gelebt, studiert, demonstriert und würde vielleicht heute noch dort wohnen, wenn sie damals nicht mit mir im Bauch in den Schoß der Familie zurückgekehrt wäre.
«Und jetzt willst du dich im CSU-Land niederlassen?», fragt sie. «Dort müssen viele soziale Einrichtungen ohne staatliche Förderung arbeiten.»
«München ist seit Jahrzehnten SPD-regiert.»
«Tatsächlich?»
«Ja, mach dir keine Sorgen.»
Das gute Essen und der Wein haben nun doch eine behaglich gedämpfte Stimmung geschaffen. Satt und zufrieden lehnen wir uns zurück. Das ist der richtige Zeitpunkt, um meinen Eltern zu sagen, dass Roni ihre Schwiegertochter wird.
«Wir müssen euch etwas sagen», beginne ich, nachdem meine Mutter den Espresso gebracht und mein Vater die vierte Flasche Rotwein geöffnet hat.
Meine Mutter atmet auf.
«Wir euch auch.»
«Wer zuerst?», fragt mein Vater und schenkt uns nach.
«Nach euch!»
«Nein, ihr zuerst!»
Ich hole tief Luft.
«Mutti, Papa, wir werden heiraten.»
«Ach du Scheiße!», ruft meine Mutter.
Mein Vater lacht hysterisch. Es klingt fast wie Weinen. Roni schaut mich ratlos an.
Ich verstehe die Welt nicht mehr. «Ja, freut ihr euch denn gar nicht?»
«Doch, doch, mein Junge», sagt meine Mutter und nimmt unsere Hände. «Es ist schön, dass ihr noch an die Ehe glaubt.»
«Aber?», frage ich.
Sie holt tief Luft.
«Dein Vater und ich – wir lassen uns scheiden.»
Vor Schreck fällt mir das Weinglas aus der Hand und besudelt den blütenweißen Teppich. Hinter mir höre ich ein Schluchzen. Roni ist blass geworden und schweigt.
«Zwischen uns hat sich einiges geändert, seit du aus dem Haus bist», erklärt meine Mutter. «Da war alles plötzlich so leer, nicht nur dein Kinderzimmer. Auch zwischen uns. Früher haben wir über dich geredet. Als du weg warst, hatten wir plötzlich kaum mehr etwas gemeinsam.»
«Aber ich bin doch schon eine Weile weg.»
«Das war eine schleichende Entwicklung. Dein Vater hatte seine Jagd und die Vereine, und ich hatte plötzlich gar nichts mehr, außer der Beratungsstelle. Da habe ich mir ein Hobby gesucht.»
«Golf», vermute ich. Meine Mutter nickt und bekommt feuchte Augen.
«Der Golf lehrer?» Meine Mutter nickt wieder. Eine Träne läuft ihr über die Wange.
«Och Mama!», rufe ich. «Das darf jetzt nicht wahr sein. Ihr wart doch immer so glücklich, ihr beide.»
«Waren wir auch», höre ich die brüchige Stimme meines Vaters.
Ich habe solche Geschichten schon von einigen Freunden gehört: In der Kindheit läuft alles gut, die Eltern opfern sich auf für Friede, Freude, Eierkuchen. Kaum sind die Kinder aus dem Haus, kümmert sich plötzlich jeder nur noch um sich.
«Das Kernproblem ist klar», resümiert meine Mutter. «Wir haben uns auseinandergelebt. Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht mehr mögen. Wir haben lange darüber geredet. Sogar eine Paartherapie haben wir gemacht. Bei Onkel Alfred. Dort haben wir einsehen müssen, dass die Ehe als Konzept nicht mehr funktioniert.» Sie macht eine Pause. «Für uns. Wir haben eigentlich ganz unterschiedliche Interessen. Früher haben wir die unseren politischen Zielen untergeordnet und später der Beratungsstelle. Jetzt wollen wir endlich mal frei sein. Jeder für sich. Neulich hat doch sogar so eine bayerische Politikerin gefordert, die Ehe auf ein paar Jahre zu befristen. Das fänden wir auch gut.»
Mein Vater steht auf.
«Ich muss eine rauchen.»
Ich dachte, er hätte vor dreißig Jahren aufgehört.
«Warte», sage ich. «Darf ich mir eine schnorren?»
Ich habe ihn nicht mehr rauchen sehen, seit ich ein Junge war. Ihm geht es genauso mit mir.
«Schlechtes Timing», sagt er. «Aber du hast eine tolle Frau. Das wird besser klappen mit euch. Ein professioneller Rat: Wenn eure ersten zwanzig Jahre vorbei sind und die Kinder aus dem Haus, vernachlässige Roni nicht. Ich war zu viel weg, die Vereinsmeierei hier, ein klares Muster. Ich kann es deiner Mutter nicht mal übel nehmen –»
«Musst du immer für alles Verständnis haben?», rege ich mich auf. «Liebst du Mama
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