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Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Titel: Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Fahlenbergern gibt es Diskussionen um die perfekten Gegner für uns. Anscheinend kann man unser Fassungsvermögen nicht einschätzen. Schließlich teilt sich die Masse und gibt eine Frau frei, doppelt so dick wie Roni, deutlich größer, auf dem breiten Hals das Gesicht einer osteuropäischen Gewichtheberin.
    «Zickezackezicke, ich habe einen Mast gesehen», ruft Roni. «Ach nee, sorry, war nur ihr Bein.»
    Die Gewichtheberin fletscht die Zähne in unsere Richtung; zu ihr hat sich ein Typ von noch massiveren Ausmaßen gesellt. Kurzatmig wanken die beiden auf uns zu. Sie setzen sich Roni und mir gegenüber.
    Ich mustere den Typ und blicke in leere Augen. Aus seinem Mundwinkel rinnt Speichel. Sein Atem rasselt, ich rieche Lockstedter – vermutlich ist er schon länger hier und hat sich die Zeit mit Trinken vertrieben. Die Frau, die gegen Roni antritt, kommt mir irgendwoher bekannt vor. Vielleicht von der Leichtathletik-WM im Fernsehen?
    Aus den Reihen der Tiefenwalder ist Cousin Mike herangekommen; er stellt sich hinter mir auf. «Hallo, Rocky», sagt er. Die trüben Augen des Riesen lösen sich kurz von meinem Gesicht; er versucht Mike zu fokussieren. Ein böses Blinzeln. Mike beugt sich über meine Schulter und flüstert mir ins Ohr: «Den kenne ich vom Golfclub, Cousin.»
    «Du bist im Golfclub?»
    «VW Golf, du Nase. Aber was viel wichtiger ist: Sein Opa hat damals unseren Opa von hinten umgehauen. Das ist deine Chance, die Familienehre wiederherzustellen.»
    Auch das noch. Drunter geht’s wohl nicht. Mike klopft mir aufmunternd auf die Schulter und zieht sich wieder zurück.
    Der Wirt verliest unsere Namen, beginnend mit meinem. Ein Aufatmen geht durch die Reihen der Fahlenberger. Die Gewichtheberin zuckt zusammen, fletscht wieder die Zähne in meine Richtung. Oder ist das ein Lächeln?
    «Butzi?»
    Ich kneife die Augen zusammen, um sie besser zu erkennen, aber ich habe sie noch nie …
    «Sandra», hilft sie mir auf die Sprünge. «Sandra Schademann! Der Karpfenteich!»
    Ich fasse es nicht.
    «Heißt das, ihr beiden habt …», quiekt Roni.
    «Nein», sage ich.
    «Ja», sagt Sandra und errötet. «Sogar ziemlich oft.»
    Sie erzählt, dass sie kurz nach meinem Wegzug nach Fahlenberg eingeheiratet, fünf Kinder bekommen und dabei wohl ihr Idealgewicht verloren hat. «Ja, und das», sagt sie, «ist mein Mann Rocky.»
    «Hmpf», macht Rocky.
    In den Lagern wird es unruhig. Der Wirt ruft zum Wiegen auf. Roni bringt 63 Kilogramm auf die Waage, ich 82, Sandra 98 und Rocky 122.
    Auf dem Tisch stehen Teller mit dem Wappen der alten Gemeinde Tiefenwalde-Fahlenberg. Echte Raritäten, meine Oma hat solche in der Vitrine, da kostet jeder ein Vermögen. Die wahre Kostbarkeit aber sind zwei goldene Medaillen, die an einer Keramikskulptur in Form einer aufgefächerten lippischen Palme hängen.
    Das Personal der Forstklause trägt einen großen Kessel heran. Darin blubbert ein grünbrauner Brei, in dem ein paar rote Bregenwürste mit Fettplocken schwimmen. Rocky rülpst präventiv. Mit bedeutungsvoller Miene portioniert der Wirt je eine Riesenkelle Grünkohl mit Wurst auf den Tellern. Rocky fängt sofort zu essen an.
    «Rocky!», ruft Sandra. «Wir sind hier nicht zu Hause.»
    Die Fronten der Tiefenwalder und Fahlenberger rücken näher heran. Keine Chance zur Flucht. Ich spüre meine Familie im Rücken. Eigentlich sollte sie ein starker Halt sein. Aber ich höre ihr misstrauisches Wispern: «Schon immer ein schlechter Esser», «nur zwei Kartoffelklöße», «bloß drei Stück Kuchen», «nicht mal ein halbes Graubrot!»
    Schließlich schneidet Carstens Stimme den Zweiflern das Wort ab: «Ich weiß gar nicht, was ihr alle habt. Der Typ wohnt in Bayern, da muss man doppelt so viel essen wie bei uns.»
    «Sogar Fleischpflanzen», ergänzt Benni.
    Ich fasse neuen Mut. Carsten beginnt in Stadion-Manier zu grölen: «Oleee, Ole, Ole, Oleeeee – der Butzi schafft das – Oleeee.» Ich höre erst meinen Vater einstimmen, unverkennbar, er hat mal einen Gospelchor geleitet, dann meine Mutter. Jetzt gibt es kein Zurück.
    «Gegessen wird, bis einer aufgibt», erklärt der Wirt. «Messer und Gabel dürfen nicht aus der Hand gelegt werden. Wer länger als zwanzig Sekunden nicht kaut oder schluckt, wird disqualifiziert. Wer aufsteht, wird disqualifiziert. Lässt sich ein Wettkämpfer von jemandem helfen, wird er ebenfalls disqualifiziert. Haben mich alle verstanden?»
    Wir nicken.
    Der Wirt breitet die Arme aus. «Drei-zwei-eins –

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