Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen
dritten Zähnen hervor. Wie eine Mauer stehen die Widersacher zwischen uns und dem Grünkohl.
«Ein Kreusssug!», ruft Roni gut gelaunt. «Sickesackesssiki?»
Aber niemand stimmt ein. Hier geht es um die Ehre des Dorfes, da hört der Spaß auf. Wie zwei kleine Heere stehen wir uns gegenüber, bereit zur dritten Schlacht im Teutoburger Wald. Niemand wagt eine ruckartige Bewegung. Alles scheint wie in Zeitlupe abzulaufen – was allerdings auch am Lockstedter liegen kann. Mein Vater hat sich schützend hinter meine Mutter gestellt, in einer Hand hält er einen Knüppel, den er vom Waldboden aufgeklaubt hat. Sein Gesichtsausdruck hat alles Therapeutenhafte verloren. Onkel Fritz krempelt die Ärmel hoch, der kleine Benni holt sein Taschenmesser heraus. Geschichte liegt in der Luft, da will keiner auf der Verliererseite stehen. Ich greife mir den nächstbesten Ast und postiere mich hinter Roni, sie lässt ihren Kopf nach hinten an meine Schulter plumpsen.
«Boah, hab ich einen Kohldampf», murmelt sie. «Warum gehen wir nicht rein?»
In diesem Moment öffnet sich die Tür der Forstklause. Hunderte Fahlenberger und Hunderte Tiefenwalder drehen die Köpfe zum Eingang. Heraus tritt der Wirt, ein etwa sechzigjähriger Mann mit rotem Kopf und braun befleckter Schürze. «Das kann doch wohl nicht wahr sein!», schimpft er. «Wollt ihr euch schon wieder prügeln?»
Seine Stimme lässt das mordlüsterne Grollen beider Parteien verstummen. «Ihr mit eurer blöden Feindschaft! Ich habe es satt. Wisst ihr eigentlich, wie oft ihr mir schon das Lokal kaputt gehauen habt?» Er zieht einen Zettel aus seinem Kellnerportemonnaie. «Zweihundertfünfzigtausend Euro Schaden in den letzten vierzig Jahren – eine halbe Million D-Mark!» Seine Stimme überschlägt sich. «Ihr seid wie die Kinder!»
Einige der Fahlenberger schauen beschämt zu Boden. Mein Vater lässt den Knüppel fallen. «Ich habe Hunger», knurrt Roni. «Und Durst.»
Mir reicht es. Sollen die Dorfdeppen ihre Probleme doch allein regeln. Das hier ist nicht meine Schlacht. Ich muss immerhin noch eine Hochzeit organisieren! Behutsam schiebe ich Roni in Richtung Forstklause. So sind wir noch in jeden Club reingekommen, wäre doch gelacht, wenn das nicht auch hier klappt.
Da öffnet sich die Tür erneut, Angestellte des Wirtshauses tragen einen Tisch und vier Stühle heraus.
«Jetzt klären wir die Sache ein für alle Mal!», ruft der Wirt wie ein Herold. «Beim Wettessen.» Erstauntes Gemurmel läuft durch die Lager. «Zwei gegen zwei, ein Paar aus Tiefenwalde gegen ein Paar aus Fahlenberg. Wer gewinnt, dessen Dorf bekommt eine Reservierung auf Lebenszeit. Die anderen können nach Hause gehen.»
«Aber wir können doch erst mal darüber reden», schlägt mein Vater vor. Ausnahmsweise hört ihm keiner zu.
Ein Mann hat sich aus den Reihen der Fahlenberger gelöst. Ich habe ihn schon mal gesehen: Er ist der Bürgermeister des Nachbarorts. Auch unser Bürgermeister macht sich auf den Weg nach vorn. Die beiden palavern mit dem Wirt. Schließlich schütteln sie sich die Hände. Was geht denn hier ab?
Während die anderen die Verhandlungen verfolgen, haben Roni und ich fast die Forstklause erreicht. Da sieht Roni den Tisch. «Warum in die Ferne schwanken?», fragt sie, macht sich von mir los und schlingert auf den Tisch zu.
Ein Raunen geht durch die Tiefenwalder.
«Sollten wir nicht erst mal abstimmen?», ruft ein pickliger Bauernlümmel, den ich noch nie gesehen habe. Ein paar Männer und Frauen, die ihm wie aus dem Gesicht geschnitten sind, geben ihm recht.
Da tritt meine Oma vor und ruft Roni zu: «Bei uns muss niemand hungern. Setz dich ruhig, mein Kind.»
Die hat echt einen schlechten Einfluss. Aber der Bauernlümmel und seine Bagage verstummen. Ich laufe zu Roni. «Ist dir eigentlich klar, worum es hier geht?»
«Um Grünkohl mit Hirnwurst?»
«Nein, um Tiefenwalde!»
Für einen Moment schaut sie mich ernst an. Dann kiekst sie: «Ich dachte, das ist dir wurscht?»
Schlimmer kann es nicht kommen. Aber heißt es nicht, «in guten wie in schlechten Zeiten»? Ich stelle mich neben Roni. Als nüchterne Hälfte.
«Das Paar aus Tiefenwalde haben wir», ruft der Wirt. «Und wie sieht es bei den Fahlenbergern aus?»
Das habe ich nicht gewollt.
Hinter mir höre ich meinen Cousin Mike «O nein!» rufen und dann Carstens schrilles Lachen. Roni dreht sich zu mir um.
«Willst du im Stehen essen?»
Jetzt ist sowieso alles futsch, da kann ich mich auch setzen. Bei den
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