Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Titel: Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
Vom Netzwerk:
los.»
    Ich haue rein. Man kann ja über die lokalen Bräuche sagen, was man will, aber Grünkohl schmeckt einfach lecker. Die Wurst ist auch super. Ich werde einfach essen, bis ich platze. Ein ehrenhafter Tod, sehr patriotisch.
    Rocky hat den Löffel als Waffe gewählt. Mit leerem Gesichtsausdruck schaufelt er Grünkohl in sich hinein, ohne zu kauen. Wie ein Zombie. Nach etwa dreißig Sekunden ist sein erster Teller leer, bis auf die Wurst. Er zögert kurz und schaut zu Sandra, die, genau wie Roni, vollauf mit Essen beschäftigt ist. Rocky greift die Wurst mit der Hand, schiebt sie sich ganz in den Schlund und würgt sie unzerkaut herunter. Eklig, aber effizient.
    Als er das erledigt hat, grinst er mich an. Zum ersten Mal entdecke ich so etwas wie Freude in seinem Gesicht. «Hehe», lacht er mit erstaunlich hoher Stimme.
    Während ich die zweite Portion esse, wiederholt Rocky sein Spielchen fünfmal: Grünkohl schaufeln, Blick zu Sandra, Wurst in den Mund, herunterwürgen, nachfüllen.
    Als er sich gerade die sechste Pinkelwurst in den Hals schiebt, dreht sich Sandra zu ihm um. «Rocky!», schimpft sie. «Nimm gefälligst Messer und Gabel!»
    Rocky erschrickt und gibt ein Geräusch von sich, das wie ein Zustöpseln klingt. Er zuckt, seine Backen zittern, er lässt den Löffel fallen und läuft rot an.
    «Was ist denn?», fragt Sandra mit besorgter Stimme, bekommt aber bloß ein Röcheln zur Antwort.
    Rockys Gesichtsfarbe wechselt ins Dunkelrote, dann ins Blaue. «Schluck!», befiehlt Sandra, «oder kau!»
    Sekunden vergehen. Sieht denn keiner, dass hier ein Mensch erstickt? Der Wirt ist damit beschäftigt, den Kohl umzurühren, die Dorfbewohner sind im Zuschauen erstarrt. Rockys Gesicht wird lila. Die Wurst steckt fest, er kriegt sie allein weder runter noch raus. Verdammt, steh doch auf, Mann!
    Sandra hält inne und legt den Löffel neben den Teller. Wenn sie Rocky hilft, werden die beiden disqualifiziert und können aus Fahlenberg wegziehen. Und ich? Sandra sieht mich mit einem Blick an, den ich früher sehr mochte. Was soll’s. Ich bin ja eh schon weg.
    Aus dem Sitzen schwinge ich mich quer über den Tisch auf Rockys Brust. Dabei trete ich seinen Teller kaputt, zack, Sachschaden, egal, hier geht es um ein Menschenleben. Rocky reißt die Arme hoch und kippt samt Stuhl nach hinten. Ich lande mit voller Wucht auf seinem massiven Brustkorb. Rocky würgt. Gut so. Mit Daumen, Zeige-und Mittelfinger greife ich in seinen offenen Mund und bekomme etwas Wurstzipfelartiges zu fassen. Hoffentlich ist das nicht sein Zäpfchen! Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden: Ich ziehe. Rockys Kehle entwindet sich ein mehrdeutiges Geräusch, dann halte ich die Wurst in der Hand. Er keucht, also atmet er.
    Der Wirt tritt vor und gestikuliert nach Art eines Ringrichters.
    «Das Essen der Männer ist durch Disqualifikation beendet. Sieger ist Rocky aus Fahlenberg, weil Butzi aus Tiefenwalde regelwidrig seinen Platz verlassen hat.»
    Empörung brandet unter den Tiefenwaldern auf. «Aber der junge Mann mit der Essstörung wäre sonst erstickt», höre ich meinen Vater rufen.
    «Regeln sind Regeln», entgegnet der Wirt.
    «Haste gut gemacht», murmelt Roni mit vollem Mund. «Ich kümmere mich um das hier.»
    Sandra schaut sie zweifelnd an.
    «Ich kann jetzt nicht aufgeben», sagt sie mit vollen Backen. «Das hier ist wichtig für uns.»
    «Es wird nicht alles so langsam gegessen, wie es gekocht wird», kontert Roni.
    Sie ist immerhin die Tochter einer Köchin und eines Bayern. Wenn eine das Unentschieden herausholen kann, dann sie. Aber was kommt danach? Verlängerung? Ich schaue mich schon mal nach Fluchtwegen um.
    Eine halbe Stunde später haben sich die Tiefenwalder und Fahlenberger auf Baumstümpfe, mitgebrachte Campingstühle und ins Moos gesetzt. Es ist kaum noch auszumachen, wer wohin gehört. Ein paar Jungs von hier schäkern mit Mädchen von dort, ein paar alte Herren spielen Skat. Roni hat eben ihre fünfte Portion heruntergewürgt. Sandra mampft munter an ihrer siebten.
    «Kann ich noch ein Pils haben?», ruft Roni, und ich sehe, dass ihr bereits die Augen zufallen.
    «Oleee, Ole, Ole, Oleeeee – die Roni schafft das – Oleeee», intoniert Carsten. Zu spät.
    Roni lässt den Löffel fallen. «Ich kann nicht mehr», stöhnt sie. Ein enttäuschtes «Ooooh» von der Tiefenwalder Seite.
    Der Wirt tritt an den Tisch. «Die neuen Grünkohlkaiser kommen aus Fahlenberg!», ruft er.
    Die Fahlenberger jubeln. Auch die Tiefenwalder

Weitere Kostenlose Bücher