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Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Titel: Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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applaudieren artig. Der Wirt will Sandras und Rockys Arme in die Höhe reißen, aber die beiden machen sich los und stehen mit hängenden Köpfen einfach nur da. Als ich Roni aufhelfe, nimmt er eine der zwei Medaillen von der Grünkohl-Keramik, legt sie Sandra um den breiten Hals und schüttelt ihr die Hand. Dann gratulieren die Bürgermeister von Tiefenwalde und Fahlenberg. Das war’s dann wohl.
    Während meine Eltern Roni und mich zurück in den Kreis der Familie führen, bekommt auch Rocky seine Medaille umgehängt. Doch als der Wirt ihm die Hand geben will, schlägt Rocky sie aus. Er setzt wieder seinen starren Blick auf und tappst los. Hinter uns her.
    «Halt!», kiekst er. Ich drehe mich um. Schritt für Schritt kommt der Riese auf mich zugewankt. Hoffentlich kriege ich jetzt nicht noch eins auf die Nase, weil ich ihn angesprungen habe. Aber Rocky ist so voll, dass er sich kaum bewegen kann; es dauert eine Weile, bis er bei mir angekommen ist. Als er endlich vor mir steht, kann ich seinen Atem rasseln hören. Die Tiefenwalder und die Fahlenberger schweigen. Die Vögel auch. Jetzt liegt wirklich Geschichte in der Luft.
    «Ich wollte dich plattmachen», verkündet Rocky mit fester Stimme, die nun die ganze Lichtung erfüllt. «Ich wollte besser sein als du. Sandra hat jahrelang von dir geschwärmt. Ich habe dich gehasst.»
    «Aber du weißt doch gar nichts über mich», wende ich ein.
    Rocky mustert mich schweigend. Dann führt er die Arme hinter den Kopf und löst das Band. Ich kann gar nicht anders, als den Kopf zu neigen. Rocky legt mir seine Medaille um. «Doch», sagt er. «Ich weiß alles über dich, was man über einen Freund wissen muss.»
    Er streckt mir die Pranke hin. Ich ergreife sie. Rocky reißt meinen Arm hoch wie den eines Siegers. «Zickezackezickezacke!», ruft er. Und von beiden Seiten fallen Tiefenwalder und Fahlenberger ein: «Heuheuheu!»
    «Wurde ja auch Zeit», höre ich Roni sagen. «Ich kann einen Schnaps gebrauchen.»
    Auch Sandra ist gekommen, um Roni ihre Medaille umzuhängen. Sie lässt ihre Hände noch einen Moment auf Ronis Schultern liegen. «Pass gut auf den Butzi auf», sagt sie.
    «Mach ich», antwortet Roni und nimmt Sandra in den Arm wie eine verschollene, sehr große Schwester. Ich höre das rhythmische Klatschen auf beiden Seiten lauter werden und sehe, dass sich die Bürgermeister von Tiefenwalde und Fahlenberg die Hände reichen. Meine Oma geht auf die Tiefenwalder zu, aus deren Gruppe sich eine andere alte Frau löst. Die beiden umarmen sich.
    Jetzt gibt es kein Halten mehr: Seit Jahrzehnten verfeindete Clans liegen sich in den Armen, Jungs aus Tiefenwalde stehen schüchtern vor Mädchen aus Fahlenberg, ich sehe meine Eltern lachend neben einem Ehepaar, das ich nicht kenne, das aber auch nach Therapeuten aussieht.
    «So.» Der Wirt ergreift das Wort. «Eigentlich müsste ich die aus Tiefenwalde jetzt nach Hause schicken …»
    «Schmarrn», ruft Roni. «Jetzt isst zusammen, was zusammengehört.»
    «Jawoll! Eine Rede, Euer Majestät!», fordert Carsten.
    Roni tritt verlegen von einem Bein aufs andere. Inmitten von Fahlenbergern und Tiefenwäldlern, die den Gast aus Bayern erwartungsvoll ansehen, hebt sie den Kopf und schaut in die Runde. «Wo ich herkomme», ruft sie, «rückt man zusammen, wenn es eng wird.»
    Ich wundere mich über ihre Courage. Sonst ist Roni doch eher zurückhaltend? Andererseits ist sie jetzt eine lokale Autorität, auch wenn sie dieses Wort in ihrem Zustand wohl nicht mehr aussprechen könnte.
    «Ihr seid nicht allein mit eurem Konflikt. Auch zwischen Bayern und Norddeutschen gibt es Probleme», ruft sie. «Das habe ich am eigenen Freund erfahren. Aber Probleme kann man aus der Welt räumen, wie alte Schränke oder Umzugskisten.» Sie sieht kurz zu mir herüber, richtet den Blick dann wieder nach vorn. «Ihr seid zwei Dörfer, die einmal eins waren. Seit Jahrzehnten balgt ihr euch, könnt nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander. So, wie ich es sehe, ist das Liebe. Die ist oft nicht leicht verdaulich und geht durch den Magen – wie Grünkohl.» Sie hickst, erhebt noch einmal die Stimme: «Wo ich herkomme, gibt es ein Sprichwort: Wenn’s Oascherl brummt, is’ Herzerl gsund. Guten Appetit!»
    Es ist die große Wiedervereinigung. Alle tanzen, trinken und essen, außer uns Finalisten; wir sind noch wettkampfgeschwächt. Roni wechselt von einem Stuhl auf den nächsten. Anscheinend hat sie wirklich vor, jeden meiner Verwandten persönlich

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