Jack Fleming 02 - Blutjagd
öffentlichen Ort, und dann wird er von der Polizei verhaftet, weil seine politischen Ansichten der herrschenden Ordnung zuwider laufen.«
»Man hat ihn verhaftet, weil er auf einen Störenfried geschossen hat«, sagte ich.
»Das will die Zeitung Sie glauben machen. Dieser ›Störenfried‹ war in Wirklichkeit ein Meuchelmörder im Dienst von Roosevelts Secret Service. Man schickte ihn aus, um eine Stimme für die Freiheit der Massen zum Schweigen zu bringen, und er bekam nur, was er verdiente.«
Mein Kiefer sackte leicht nach unten. Pruitt zog das zufriedene Gesicht eines Mannes, der soeben einen echten Sieg errungen hat. Mir fiel mühelos ein halbes Dutzend Gegenargumente ein, aber Schweigen war die beste Maßnahme. Es hatte keinen Sinn, mit einem Unbewaffneten geistig die Klingen zu kreuzen.
Bobbi stellte ihre Tasse ab und wollte ihre Probe fortsetzen. Marza stimmte dankbar zu, und die Damen begaben sich wieder zum Klavier. Madison streckte die Beine aus, verschränkte die Arme und gähnte lang und herzhaft. Die Lautstärke genügte zum Jodeln, und seine gewaltige Mundhöhle – etliche Krümel versteckten sich immer noch zwischen den Backenzähnen – wäre landesweit den Ölbohrern eine Offenbarung gewesen. Er beendete sein Solo und schloss die Augen. Nach seinen nicht allzu subtilen Kieferbewegungen zu urteilen pirschte er offenbar mit der Zunge den letzten Keksresten hinterher. Ich lehnte mich im Sessel zurück und fragte mich, was um Himmels willen Marza in ihm sah. Nicht dass sie selbst ein Prachtexemplar gewesen wäre.
Wie Bobbi bereits sagte, lag ihr wahrer Wert in ihrem Talent als Begleitmusikerin. Mit gewandter Leichtigkeit glitten ihre Hände über die Tasten. Sie musste allerdings in flachem Winkel spielen, damit ihre langen Fingernägel nicht auf dem Elfenbein klickten.
Sie wärmten sich an ein paar Tonleitern auf, und dann begann Marza mit einem Lied, das Bobbi während der Sendung singen würde. Das Stück war langsam und übergreifend und brachte ihre Stimme, die ausgezeichnet war, gut zur Geltung. Ich seufzte leise und ließ mich vom Klang überschwemmen, was beruhigend und aufregend zugleich war. Vielleicht würde ich sie später in der sanften Dunkelheit ihres Zimmers um ein weiteres Lied bitten.
Nach dem Lied hielten sie Kriegsrat, und ich suchte nach etwas Lesbarem. Mein schweifender Blick fiel auf ein ladenfrisches Exemplar von Allein leben macht Spaß auf dem Beistelltisch. Als ich darin blätterte, stellte ich fest, dass Marza es Bobbi geschenkt hatte. Ich hätte es mir denken können. Ich begann gerade mit der Lektüre des Kapitels mit dem unglaublichen Titel ›Die Freuden eines Einzelbettes‹, als es unnatürlich ruhig im Zimmer wurde.
Pruitt starrte auf eine Stelle hinter mir; Mund und Augen sahen aus, als hätte er sie sich von einem toten Fisch ausgeliehen. Marza und Bobbi waren ebenfalls erstarrt und ahmten recht wirklichkeitsnah gestrandetes Meeresleben nach. Ich saß mit dem Rücken zur Tür und drehte mich mit einem mulmigen Gefühl herum, um den Grund für dieses Schauspiel zu erfahren.
Mit langsamen Schritten und großen silbernen Kreuzen in den verkrampften Händen traten James Braxton und Matheus Webber durch die weit geöffnete Tür. Beide wirkten entschlossen, jedoch sehr nervös.
Was mir jedoch den Magen umdrehte, war der Revolver in Braxtons anderer Hand. Sein Finger lag am Abzug, und ich wusste nicht, unter welchem Druck das Ding losgehen würde. Wenn der verdammte Idiot sich nicht im Griff hatte ...
Vorsichtig stand ich auf, hielt meine offenen Hände vor mich und ließ Braxton dabei nicht aus den Augen. Seine Augen waren kleine Stecknadelköpfe in einer weißen See und leuchteten vor furchtsamem Triumph. Meine waren wahrscheinlich ebenso weit aufgerissen, aber ohne den Triumph und nur vor Angst. Sofern diese Knarre nicht mit Holzmunition geladen war, machte ich mir um mein Wohlergehen keine Sorgen, aber alles andere bereitete mir Kopfzerbrechen. Falls er auf mich schoss, ginge die Kugel glatt durch mich hindurch in Bobbi und Marza hinein, die genau in der Feuerrichtung des Idioten standen.
Von irgendwoher hörte ich mich flehend sagen: »Bitte bleiben Sie ruhig, Braxton. Diese Leute sind unschuldig, bitte schießen Sie nicht.«
Die Runzeln in seinem braunen Gesicht bebten leicht, aber ich konnte seine Miene nicht deuten. Ich wagte es nicht, ihn hypnotisch zu beeinflussen – wenn ich auch nur den kleinsten Fehler beging, konnte Bobbi sterben.
»Ich tue,
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