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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Plötzlich schien das Le-
    ben des Kapitäns zwischen seinem Wunsch und mei-
    ner Hoffnung zu schweben.
    »Und ich sage nein!« Er hämmerte die Worte wie
    Nägel. »Kennst du nicht das Gefühl auf einem Schiff, wenn eine Leiche an Bord ist? Daß es stinkt wie ein Sarg und geht wie ein Leichenzug?«
    Sam Fox kam aus dem Nebel, von dem Klang un-
    serer Stimmen angelockt. Mister Taplow war dabei,
    und wir drei standen zusammen und wußten nicht,
    wollten wir den Tod oder klammerten wir uns an die
    Seele des bösen Mannes, der in seiner Kajüte lag.
    »Er ist hinüber. Das Schiff stinkt nach Tod.«
    »Sie irren sich. Er hat viel Blut verloren und schläft –«
    »Wohl! Wir alle kennen den Schlaf. Und ich sage
    dir –«
    Aber dazu kam er nicht. Er hielt inne, und wir
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    standen sehr still, als aus dem weißen Nebel die unheimliche Stimme von neuem sang:.
    »Fahr’ ich in die Weite,
    komm’ ich doch wieder,
    fahr’ ich auch tausend Meilen oder mehr …«
    »Da ist es wieder«, flüsterte Sam Fox, und er und
    Mister Taplow starrten mich an, als hätte ich den
    Geist aus der Tiefe heraufbeschworen. Sie gingen zur Reling und suchten in der bewegten Weiße.
    »Was war das?«
    »Schatten des Hauptmasts.«
    »Hast du nichts gehört?«
    »Nein! Es ist weg.«
    »Hör!«
    Sehr leise kam es noch mal: »Fahr’ – ich – auch –
    tausend – Meilen – oder – mehr …«
    »Wo war das?«
    »Dort drüben.«
    »Was? Oben?«
    »Wie zum Teufel kann ich in dieser verdammten
    Waschküche sehen?«
    »Sieh! Sieh. Es lichtet sich. Es lüftet sich.«
    Es muß nahe Mittag gewesen sein, denn die Oberflä-
    che des Nebels wurde zu Gold, und die große gelbe
    Sonne rollte und schmolz daraus hervor. Draußen auf dem Meer begann die schwellende Weiße zu zittern und hochgezogen zu werden wie ein Theatervorhang, und
    da lagen wieder die grauen Wasser und glitzerten in der Sonne. Jetzt war die Mannschaft wiedergeboren – und wir waren an der Backbordreling nicht mehr allein.
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    Jeder Mann an Bord schien neben uns zu stehen
    und starrte, der Teufel weiß, worauf. Einige hatten Pistolen und Musketen, manche hatten Messer und
    andere nichts als geballte Fäuste und herausquellende Augen.
    »Seht, Jungen, seht! Dreiviertel achtern! Fünfzig
    Yards dwars. Seht ihr’s? Da jetzt! Da geht’s!«
    Einen Augenblick dachte ich, da stünde ein Mann
    auf dem Wasser: dann zerteilte sich ein Knäuel dampfender Luft, und ich sah, daß er auf einem Floß
    stand. Nur ein einziger Mann stand schmächtig da
    draußen, winkte uns zu und sang vor Freude, daß er
    gerettet wurde:
    »Fahr’ ich in die Weite,
    komm’ ich doch wieder,
    fahr’ ich auch tausend Meilen oder mehr!«
    Ich weiß nicht, ob ich mehr froh oder böse war,
    daß ich um ein Gespenst betrogen wurde, aber einer
    in der Mannschaft hatte da keine Zweifel. Er nahm
    die Muskete von der Schulter und schickte eine Ku-
    gel, die das Wasser einen Yard vor dem Floß aufriß.
    »Deine verdammten Fahrten sind jetzt vorbei,
    mein Junge!«
    Das befeuerte etwa ein Dutzend andere, die anfin-
    gen, ein paar billige Schüsse auf den armen Strolch abzugeben.
    Das Knallen und Rasseln der Musketen war ein
    sehr ironisches Begrüßungsgeräusch für ein Lied, ein sehr übles und abstoßendes Geräusch, denn der
    Mann auf dem Floß hatte nichts, sich zu verteidigen, 40
    und kein Segel, um zu entfliehen, und er hatte seinen Mördern nichts anderes angetan, als daß er sie ein
    bißchen durch sein Singen im Nebel geängstigt hatte
    … Selbst der vernünftige und adrette Mister Morris
    war aufs Achterdeck herausgekommen und sah fröh-
    lich zu: dann ging er zurück, um dem Kapitän vom
    Morgensport zu berichten.
    Ich versuchte zu winken, in der Hoffnung, daß er
    mich sehen und – bevor er getötet wurde – wissen
    würde, daß einer an Bord war, der ihm nichts Böses
    zudachte. Aber es entging ihm, denn sein Kopf war in einem Bündel aus dunklem Tuch verborgen. Deshalb
    sah ich nicht weiter hin, denn ich wollte nicht Zeuge sein wie er getroffen wurde, und wartete auf das
    Freuden- und Triumphgeschrei, das sein Ende ver-
    künden würde.
    Drei oder vier Schüsse hörte ich noch, dann rief eine Stimme: »Aufhören, Kameraden. Seht euch das an!«
    Auf dem Floß war eine ungefähre Art von Mast,
    und daran hatte er eine Fahne aufhängen können. Sie entfaltete sich – schwarz mit einem weißen Totenkopf.
    »Er ist einer von uns, Kameraden! Seht nur! Er ist
    von der Zunft!«

    »Er ist einer von uns!« Wunderbar,

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