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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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auf, um
    nach draußen auf das stille Deck und zum stillen
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    Himmel zu schauen – und nach der Wache, still wie
    Stein ganz vorn auf dem Vorderdeck. Mehr war nie
    da. Vom Kapitän überhaupt kein Zeichen. Also ging
    ich zurück zu Mister Pobjoy: (Mister Pobjoy, viertelwach und daher fluchend wie wahnsinnig).
    Am nächsten Tag war an Deck alles klarer Son-
    nenschein und scharfe Schatten: die Nebel lagen hinter uns und der Himmel war blau – bis auf einen
    kleinen grauen Buckel am Horizont hinter uns. Aber
    die Schatten bewegten sich irgendwie hinter meinen
    Augenwinkeln, und ich konnte keine zwei Schritte
    tun, ohne anzuhalten, um zu sehen, was sich da regte.
    Den ganzen Tag spukte er um mich wie ein halb
    erinnerter Traum, bis ich zu denken begann, daß es
    nur das war und nichts anderes – nicht mehr als der trübe Überrest einer schlechten Nacht: die Wirkung
    von zu wenig Schlaf auf zu wenig Hirn. Dann fühlte
    ich gegen Einbruch der Nacht das Phantom ver-
    schwinden und wußte, daß ich mich nicht getäuscht
    hatte. Obwohl die Schatten tiefer waren, waren sie
    jetzt tot, und ich sah die erleuchtete Lampe in seiner Kajüte. Er hatte aufgegeben, was er suchte.
    Aber warum hatte er die Kajüte heimlich verlas-
    sen? Was hatte ihn herausgetrieben? Nur eins. Der
    Fremde. Was war an diesem Mann, der mir so ge-
    wöhnlich aussah, daß ich sein Gesicht vergessen hat-te? Was bedeutete er dem Kapitän, daß er ihn insge-
    heim und so mißtrauisch von seinem Krankenbett
    hochgescheucht hatte.? Etwas Beunruhigendes und
    Sonderbares.
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    In dieser Nacht wandte ich mich wieder an Mister
    Pobjoy, der so viel von den inneren Vorgängen zu
    wissen schien, obgleich er sie durch den Boden eines Ginglases sah. Er hatte vom Fremden nicht viel mehr gesehen als ich, denn dieser mysteriöse Herr hatte
    nach seinem Ungemach auf See den ganzen Tag in ei-
    nem versteckten Winkel geschlafen. Er habe jedoch
    genug von seinem Äußeren gesehen, um auf sein In-
    neres zu schließen, und genug von seiner Geschichte gehört, um sich die Wahrheit denken zu können.
    »Gott segne Sie, Mister Pobjoy«, sagte ich. »Aber
    was ist aus unserem schiffbrüchigen Herrn gewor-
    den?«
    »Schiffbrüchig?« sagte er. »Aus dem schauerlichen
    Salzmeer gerettet? Auf ein handliches Floß von einem Delphin gesetzt (der ihm half, den Mast aufzurichten)?
    Und seine ganzen Kleider vom geisterhaften Arm eines ertrunkenen Kameraden ausgehändigt, der glaubte,
    daß er es hinfüro brauchen würde? Nein lieber Junge, Mister Solomon Trumpet war nie schiffbrüchig. Nein, glückauf! Er ist ausgesetzt worden: ausgestoßen! Aufgegeben, wie du in deiner erbarmungswürdigen Kind-
    heit. Bloß – bloß – (außer du warst der frechste Bengel, der das Licht Londons erblickte) du bist nicht wegen Meuterei ausgesetzt worden.«
    »Was für eine Art Mann ist er denn?« fragte ich
    verstört.
    »Ein sehr unartiger Mann – unzufrieden wie alle
    Meuterer. Ein Mann, sehr geneigt, andere zu bearbeiten: und stets bereit, selbst nicht zu arbeiten.« (Wor-46
    aus ich schloß, daß er Mister Pobjoy keine Hilfe angeboten hatte, als man ihn darum ersucht hatte.)
    »Von was für einer Klasse Schiff ist er denn ge-
    kommen, Mister Pobjoy?«
    »Jedenfalls von einem Klasseschiff, so sehr Klasse, daß man ihn ausgesetzt hat, statt ihm die schleimige Kehle durchzuschneiden.«
    Dann erzählte mir der schlaue, geheimnisvolle Mi-
    ster Pobjoy, der sich alles zusammenreimte, was er
    gewußt und gehört hatte, und der mit erstaunlicher
    Schärfe witterte, aus welcher Richtung ein schlimmer Wind blies, die Mär von einem Schiff mit Namen
    Esperance. Ich hatte nie von ihr gehört, wohl aber
    Mister Pobjoy, und Mister Taplow – und eine ganze
    Reihe ähnlich verzweifelter Träumer.
    Vor zwei Jahren war sie von Plymouth abgesegelt
    mit einer Ladung von scharfen Getränken, alten
    Musketen und billigen Glasperlen. Sie war der Teufel weiß wohin gesegelt und hatte ihre Ladung für einen Riesenschatz von Gold und Juwelen verkauft. Hatte
    den Laderaum damit gefüllt. Lag danach so tief im
    Wasser, daß sie von weiter weg als einer halben Mei-le nicht ausgemacht werden konnte.
    Manche sagten, sie sei im Indischen Ozean, man-
    che sagten, sie sei im Gewässer von Virginia, manche sagten, sie umsegle das Kap der Stürme, und manche
    sagten, sie liege auf dem Meeresgrund mit ihrer ganzen Mannschaft, wohlversorgt als Skelettmillionäre.
    Aber die Wahrheit lautete anders … Sie schlich sich in die

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