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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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wunderbar …
    Vielleicht ein weiter Mister Taplow – ein Ersatz für Ben Fox. Genau was die Welt am meisten brauchte.
    Und ich hatte ihn bemitleidet. Beinahe laut gejubelt, als ihn die Kugeln nicht trafen. Jetzt wußte ich auch warum: er war zum Hängen geboren, nicht um er-41
    schossen zu werden. Er hatte mein Mitleid unter falschen Vorspiegelungen gewonnen, unzweifelhaft be-
    kam er viele Dinge auf diese Weise, aber das Mitleid wurmte mich am meisten. Es war eine arge Schmach,
    und ich wünschte ihm dafür den Tod.
    Aber er lebte, und ich versuchte, das Beste rauszu-
    holen, indem ich überlegte, daß es ein neues Gesicht unter den abgestandenen sein würde, und wenn er
    vielleicht auch nicht besser war als meine täglichen Gefährten, dann war es doch nicht möglich, daß er
    schlechter sein konnte.
    Kurz darauf wurde er mit so viel Tamtam an Bord
    geholt, als sei er König Neptun. Ich habe nie so viele hilfreiche Hände gesehen – an den Armen so vieler
    Mörder.
    Ich versuchte, einen Blick auf ihn zu erhaschen,
    aber es gab kein Loch in der Menge.
    Als dann die Männer Platz machten, um Mr. Mor-
    ris durchzulassen, sah ich wallendes dunkles Haar
    und ein Paar kluge braune Augen, die seine neuen
    Freunde zu prüfen schienen – und die alten schlim-
    men Gesichter. Dann drängten sich zerlumpte Rük-
    ken dazwischen, und ich wandte mich, um zu mei-
    nem Platz in der Kombüse zurückzukehren – und
    meine Gefühle Mister Pobjoy mitzuteilen.
    Die Kombüse war leer. Mister Pobjoy war auf Deck
    gegangen. Dreck und Unordnung überall – wie ge-
    wöhnlich. Er rührte keinen Finger, um sauber zu ma-
    chen. Dann fiel mir ein, daß er’s mir aufgetragen hatte. »Jacks Arbeit … Mach dich dran … Jacks Arbeit.«
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    Ich machte beim Arbeiten ’ne ganze Menge Krach,
    denn ich wurde immer zorniger. Alles war verschwo-
    ren, mich mehr zu reizen: kleine Ärgernisse kamen
    wie ’ne Lawine … ich riß mir einen Splitter von einer Tonne Schweinefleisch in den Daumen, worauf ich
    einen Becher, klatsch! in die Lake fallen ließ.
    »Möge er verfaulen, weil er an Bord gekommen
    ist!« (Ich meinte den Fremden – diesen musikalischen Neptun). Ich steckte die wehe Faust nach dem Becher rein, und das Salz brannte meine Wunde mörderisch.
    Also riß ich die Faust wieder raus – und kriegte einen zweiten Splitter in den empfindlichsten Teil meines Armes – die Unterseite des Ellbogens, etwas über dem Gelenk.
    »Fäulnis über Mister Pobjoy und seine dreckigen
    Gewohnheiten! Fäulnis über dieses verrottete Schiff und seine verrottete Mannschaft. Und Fäulnis über
    den Tag, an dem ich auf See ging.«
    Ich setzte mich und wischte mit der brennenden
    Hand über das Gesicht. Das Salz stieg mir gleich in die Augen, und ich dachte, ich sei in die Hölle geraten.
    Ich kauerte mich zusammen, die Hände vorm Ge-
    sicht, und vergaß alles im salzigen Jammer.
    Und dann passierte etwas ganz Unheimliches. Eine
    Hand legte sich leicht auf meine Schulter.
    »Wer ist da?« flüsterte ich. Zur Antwort fühlte ich die Finger sich in mich krampfen – und dann war die Hand fort. Als ich die Augen öffnen konnte, war
    niemand da. Ich rannte, um nach draußen zu sehen.
    Keiner war in der Nähe. Dann ging ich zurück zur
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    Kombüse und fand auf den Brettern hinter meinem
    Sitzplatz ein paar Tropfen frisches Blut.
    Der Kapitän! Er mußte es gewesen sein. Das fri-
    sche Blut … die Anstrengung des Gehens muß seine
    Wunde wieder geöffnet haben. Nur ein paar Tropfen.
    Gott sei Dank war es nicht mehr. Der Trubel des
    Morgens wird ihn hochgescheucht haben. Er war ge-
    kommen, um zu sehen. Und war er jetzt wieder fort?
    Warum? Gefiel ihm nicht, was er sah? Das wußte nur
    Gott. Er hatte mir die Hand auf die Schulter gelegt, und das war genug. Die Welt war auf einmal wieder
    ein bemerkenswert angenehmer Ort.
    Als der verschimmelte kleine Segelmeister schließ-
    lich mit dem kläglichen Fang aus dem morgendlichen
    Meer hereinkam – um ihn mit etwas Lohnendem zu
    ernähren – war ich so aufgeregt, daß ich nicht hätte sagen können, ob er einen Kopf hatte oder zwei. Und dies war also der Fremde, der vor nicht mal einer
    halben Stunde alle meine Gedanken beansprucht hat-
    te. Sechs Tropfen Blut hatten ihn mir vollständig aus dem Hirn gewaschen.
    V
    In der folgenden Nacht schlief ich schlecht: die wi-derstreitenden Gefühle des Tages hatten mein Hirn
    zum Sieden gebracht. Ein dutzendmal glaubte ich
    Hinken im Dunkel zu hören und stand daher

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