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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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in Fairness das und das
    von mir als Gegenleistung verlangt hatte – und ich
    zugestimmt hatte. Das Ergebnis? Eines Tages würde
    ich wissen, wer ich war. Dafür sollte ich über ihn wachen, sollte ihm meine Augen leihen, meine Ohren,
    meine Sinne, ohne die er verloren sein könnte.

    Eines schönen Morgens, drei oder vier Tage danach,
    sagte mir Mr. Pobjoy, daß wir noch in der Nacht einen Hafen erreichen würden. »Welchen Hafen?« fragte ich.
    »Möchte ich das nicht auch gern wissen?« antwor-
    tete er und tröstete mich weiterhin mit: »Nicht Bristol, nicht Plymouth, nicht Southampton oder sonst
    ein Ort, wo ein Junge sich davonmachen und seine
    lieben Gefährten verpfeifen würde für den lausigen
    Lohn von einer Guinea.« Nein: es war ein ruhigeres
    Plätzchen, eine kleine Bucht, die sich im buschigen Gelände der Küste öffnete, so klein, daß sie den vor-beifahrenden Schiffen entging, allen, bis auf ihre
    Freunde. Es war ein Ort, wo die Küstenwache über-
    tölpelt werden konnte, und die nicht schliefen, zwin-kerten sich vielleicht zu … Es war ein Ort mit einem Wirtshaus oder zwei, wo man durchaus bereit war,
    einem armen Seemann zu helfen, indem man ihm
    zwar die Taschen erleichterte, aber niemals Fragen
    stellte … Es war ein Ort des Kapitäns, sein besonderer Ort, zu dem er zu besonderen Zeiten des Jahres
    aus seinen eigenen besonderen Gründen kam. Und
    der Teufel wußte, welche Gründe das waren.
    29
    Ich kriegte diesen geheimen Ort zum erstenmal zu
    sehen, als die Sonne achtern auf Steuerbord unter-
    ging, das Hinterdeck ganz vergoldete und die Schat-
    ten von Masten und Segeln über das Vorschiff fegte.
    Dann umfuhren wir eine kurze Landzunge, und ich
    sah die kleine Bucht, genau wie sie Mister Pobjoy be-schrieben hatte.
    Eine halbe Meile vor der Küste warfen wir Anker,
    und die Besatzung der Pinasse machte sich bereit. Ei-ne ganze Weile standen sie, schwarz wie Pfosten, am Bordrand, schwiegen und warteten. Deutlich konnte
    ich Geräusche aus der Kajüte des Kapitäns hören. Ich glaube, daß Mister Morris an diesem Abend bei ihm
    war: Mister Morris, der immer in seiner Nähe war …
    »Und jetzt meinen Hut, Mann! Meinen Hut und
    Degen. Das wär’s. Das wär’s, wie?« (Ich stellte mir vor, daß er in den Spiegel sah und mit dem Bild zufrieden war.) »Ja, wahrhaftig, wie? Das – wär’s.«
    Endlich kam er auf Deck und trug eine Blendlater-
    ne. Er war mit einem langen schwarzen Leibrock und
    blaßfarbenen Hosen bekleidet. Ich weiß noch, daß
    die Knöpfe an seinen Manschetten glitzerten, wenn
    ein Flackerschein der Laterne auf sie fiel – und wie das Licht über seinen schmalen Degen huschte … Er
    trug einen Dreispitz etwas schief, was ihm einen ver-wegenen Anblick verlieh, wie einem Herrscher der
    Nacht.
    Er hob die Laterne und ließ sie dreimal blinken.
    Weit entfernt, in Richtung des jetzt verborgenen Hafens, antwortete ein anderes Licht. Wieder signalisier-30
    te er. Wieder kam die Antwort, unheimlich prompt.
    Er nickte, und einer nach dem anderen kletterte die Besatzung über die Bordkante ins wartende Boot. Als letzter kam – er selbst, und als er vorbeiging, schien er zu lächeln. Ganz plötzlich kamen mir seine Worte in den Sinn, und ich fand sie ungemütlich passend:
    »Wenn der Teufel an Land geht, blinkst du dein
    Licht dreimal …« Mich beschlich ein sehr ängstliches Gefühl, als er sich vor der Reling aufrichtete und
    dann behende ins Boot hinabkletterte. Ich wollte mit aller Macht einen letzten Blick auf sein weißes Gesicht und den Dreispitz erhaschen, aber er und das
    Boot waren in die Nacht verschwunden.
    Eine sehr atemlose Nacht ohne Mond und mit ei-
    ner schwarzen Decke von Himmel; sehr schwül
    schien es – als seien wir, aus welchem Grund auch
    immer, vom Himmel ausgeschlossen … Ein Segel, das
    lose von der Großrahe hing, begann leicht gegen den Mast zu schlagen, und so groß war die Stille, daß es klang, wie wenn ein Mann ausgepeitscht würde.
    Dann das ferne Knirschen der Pinasse, die Strandkies berührte …
    Ich glaube, es muß geschehen sein, als das Boot
    noch nicht richtig an Land war – ich meine festge-
    macht –, daß die Katastrophe eintrat. Eine Minute
    mehr hätte vielleicht mehr zuwege gebracht …
    Im Wald und Unterholz war ein Hinterhalt gelegt.
    Sehr still, tödlich still hatten sie da gelegen: wachsam
    – Augen am Lauf der Musketenrohre; beobachteten
    den kleinen Strand; holten tief Atem, als die Pinasse 31
    kam; zählten die Tritte auf

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