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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Taplow gestorben war – und
    ein Stück von sich in unserem Gedächtnis zurückge-
    lassen hätte, dann würde auch die Menschlichkeit,
    die sein Fieber in Lord Sheringham erweckt hatte, so lange andauern wie die Erinnerung an Mister Trum-132
    pet. So hätte er denn durch seinen Abgang von der
    Welt auf den Flügeln des Mitleids uns einen besseren Dienst erwiesen, als wenn er darin blieb, um das Dasein wieder zu versauern. Denn ich hatte Angst für
    ihn und uns, wenn er aufwachen sollte. Erdbeben
    würden sich in seinem Hirn ereignen, wenn er ent-
    deckte, daß er in der Tat die Weiße Lady verloren
    hatte.
    Bald darauf glaubte ich durch den Lärm der Vögel
    unsere Jäger zu hören, die umhertrapsten und ra-
    schelten und einander anriefen. Ich hoffte, sie würden zurückkommen, bevor Mister Trumpet aufwachte;
    ich hatte nicht den Wunsch, ihm die Nachricht vom
    Verlust selbst beizubringen. Ein verirrter Sonnen-
    strahl fiel auf einen Pistolenlauf – oder einen Knopf, blitzte und verschwand wieder. Einer der Jäger mußte mir einen Blick durch eine Lücke zwischen den Bäumen gegönnt haben, denn ich fühlte ihn im Rücken.
    Seltsam, daß man etwas so Wesenloses wie einen
    Blick spüren kann …
    Jetzt begannen Mister Trumpets Augenlider unter
    der stärker werdenden Sonne zu flattern, und ich sah mich ängstlich um. Ich glaubte, ihn murmeln zu hö-
    ren »Weiße Lady … Weiße Lady …«, aber als ich
    mich nach ihm umsah, war er wieder friedlich und
    legte die Hände unter seiner Wange zusammen.
    Lord Sheringham und Mister Morris waren schon
    über eine halbe Stunde fort, und ich wurde von der
    Furcht gepackt, daß sie nicht auf eßbares Wild
    pirschten, sondern auf einander. Daß irgendwo in
    133
    dem irreleitenden Wald Mister Morris sich vorbeug-
    te, an einem Lauf entlangvisierte und wartete, um ei-ne Kugel durch einen verhaßten Kopf zu schießen.
    Und vielleicht plante auch Lord Sheringham, der dies begriff, einen »Unfall«.
    Der Schuß, der ertönte, beendete meine Spekula-
    tionen, als sie auf dem Höhepunkt der Verzweiflung
    angekommen waren. Der ganze lebendige Wald
    brach in aufgescheuchtes Leben aus, als protestiere er gegen den jähen Tod.
    Dann erstarben die Echos, und Mister Trumpet
    öffnete die Augen, lächelte und sagte ruhig wie am
    Kaminfeuer »Und wie geht es dir , Jack, an diesem schön gefiederten Morgen?« Er lachte. »Mein Gott,
    hab’ ich was durchgemacht! Was, alter Freund?«
    Aber ich war von dem Lärm noch zu benommen,
    um ihm beizupflichten, und fragte mich noch, ob nun Mister Morris Lord Sheringham erschossen oder
    Lord Sheringham Mister Morris erlegt hatte, als sie beide den Weg zurück stolperten – und zwischen sich ein totes Reh trugen. Sie waren erhitzt, sehr zerkratzt, aber sie lächelten auch. Das einzige Blut, das floß, kam aus dem kleinen braunen Reh.
    »Du bist ein fauler Hund, Trumpet. Schlummerst,
    während wir jagen. Aber ich freue mich so, daß du
    wenigstens wieder wach bist. Freue mich gewaltig.«
    Lord Sheringham lachte fröhlich – ganz so, als hätte Mister Trumpet wirklich nach einer langen und lusti-gen Nacht nur verschlafen. »Würdest du nicht sagen, daß er ein fauler Hund ist, Morris?«
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    Aber Mister Morris wollte es laut nicht zugeben, er lächelte nur und lächelte.
    Die Welt war plötzlich wieder hell: mit diesem
    Paar munterer Jäger, Mister Trumpet endlich fieber-
    frei und ich mit der Frage, wie sie jemals hatten Feinde sein können.
    Was diesen Wandel herbeigeführt hatte, wußte ich
    nicht: wahrscheinlich die Hingabe an eine gemeinsa-
    me Aufgabe. Die Schrecknisse der Nacht waren ver-
    gessen, ebenso die Verdächtigungen.
    Mister Morris hockte sich nieder und begann, das
    tote Tier mit seinem Messer abzubalgen. Er arbeitete schnell und sauber, zerschnitt nicht das Fell, vergoß wenig Blut und wußte stets, wo der nächste Schnitt
    erfolgen mußte. Die spindeldünnen Beine, die ich für schwierig gehalten hätte, behandelte er so geschickt, als zöge er ein Paar Handschuhe aus …
    Und als wir dann das zähe, warme Fleisch verzehr-
    ten, brachte das Gespräch unter uns vier manche an-
    genehme Wendung, als erwärme es sich an der un-
    sichtbaren Sonne. Es war Mister Trumpet – ausge-
    rechnet er – der den Ton angab, indem er Lord She-
    ringham um Verzeihung bat, weil er das Geheimnis
    preisgegeben hatte: und von da schwatzten wir über
    alles Mögliche, als seien wir vier etwas redselige
    Freunde, die sich an einem Sonntagmorgen auf

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