Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
Vom Netzwerk:
gerannt? Wohin? In eine Tasche? Ist er dahin gerannt?«
    Er war halb verrückt, das wußte ich, und das Fie-
    ber hatte viel Schuld daran, weil es in seinem Blut noch mächtig war, aber er riß den letzten zarten
    Schleier von unserem schönen Traum – riß ihn zu
    Fetzen und schleuderte ihn uns in die betrübten Ge-
    sichter. Mister Trumpet war Mister Trumpet – und
    was er immer gewesen war. Sein Herz war mit dem
    Namen gebrandmarkt, und wenn es sprang, dann
    brachte der Schmerz die dort eingenarbten Buchsta-
    ben zum Vorschein.
    Und Lord Sheringham war ganz das, was er immer
    gewesen war, und Mister Morris’ Verdacht schien
    nicht so wild aus der Luft gegriffen.
    Aber Mister Morris beharrte. Er von uns allen
    dachte noch an unseren Traum, unsere Idee, er war
    es, der sie zu retten suchte. Aber er konnte es nicht, und ich sah in seinen Augen, daß er die Vergeblich-keit kannte, aber dennoch nicht aufgeben wollte, weil es noch einen Weg gab, wenn auch nicht eben den,
    den er gewählt hätte … Und das begriff er auch, wie ich glaube …
    Also begannen wir wieder und suchten wohl zum
    hundertsten Mal, rissen Büsche und Farne beiseite,
    zogen Ranken zurück, wühlten die Erde auf, und
    immer unter dem verzweifelten, ungläubigen Blick
    von Mister Trumpet, der jämmerlich auf dem Rand
    seines halb ausgehobenen Grabes hockte.
    »Er muß irgendwo sein, er muß irgendwo sein.
    139
    Seht. Seht noch mal nach! Und noch mal! Ach, gebt
    nicht auf. Noch nicht. Ich werde wahnsinnig, wenn
    ihr aufgebt. Er muß, muß, muß hier sein! Oder ist er von den Kindern gestohlen worden? Den brennenden
    kleinen Kindern meines Traumes?«
    XIV
    Als die Dunkelheit einbrach, gaben wir die Suche auf, nur Mister Trumpet wollte oder konnte sie nicht sein lassen.
    Lord Sheringham und Mister Morris versuchten,
    wach zu bleiben, aber wie lange, weiß ich nicht, denn ich begann sehr schnell, den Kopf gegen einen Baumstamm gelehnt und die Hände zwischen den Knien,
    einzudämmern. Dies war mein erster Schlaf seit zwei Tagen, und ich glaube, daß mich nichts in der Welt
    davon hätte abhalten können, und doch wachte ich
    mitten in der Nacht auf: ich erwachte vom brennen-
    den Blick aus Mister Trumpets Augen – keinen hal-
    ben Meter von mir entfernt.
    Hinter ihm stöhnte und zitterte der düstere Wald,
    als erschrecke er über sich selbst. Die anderen beiden waren ganz in der Nähe eingeschlafen. Ich konnte sie atmen hören, aber nicht sehen. Ich sprach im Flüsterton.
    »Sind Sie die ganze Zeit wachgeblieben?«
    »Du hast im Schlaf gesprochen.«
    »Wovon? Was habe ich gesagt?«
    140
    Er holte tief Atem: »Ich hörte dich sagen ›Weiße
    Lady … Weiße Lady‹ …«
    »Ich – ich erinnere mich nicht.«
    »Du hast geschlafen. Es muß dir auf dem Gewissen
    gelegen haben …«
    »Auf meinen Gedanken, meinen Sie. Und nicht er-
    staunlich nach diesem Tag. Suchen – Suchen. Aber
    ich hätte nie gedacht, daß ich im Schlaf spreche. Ha-be ich – bedrückt ausgesehen?«
    »Dein Gesicht habe ich nicht gesehen. Ich habe –
    unsere Freunde beobachtet.«
    »Glauben Sie denn – daß ich sie genommen habe?«
    »Nein. Aber vielleicht hast du eine – Idee?«
    »Habe ich nicht. Ich habe nichts gesehen. Ich hab’s erst gewußt als –« und ich erzählte es ihm. Er hörte kopfschüttelnd zu.
    »Weiße Lady … Weiße Lady …«
    Mister Morris stammelte mit der fremden Stimme
    eines Mannes, der im Traum antwortet.
    »Verdammt noch mal! War es Morris? Ich glaube
    nicht, daß es Morris war. Er hat sie gehaßt.«
    »Glauben Sie, es war Lord Sheringham?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Bitten Sie ihn, seinen Beutel umzudrehen.«
    »He – he! Das habe ich bereits für ihn getan. Da ist sie nicht.«
    »Also ist er unschuldig.«
    »Unschuldig? Dieser Mann unschuldig?«
    »Waren wir uns nicht einig, von vorn anzufan-
    gen?« sagte ich nach einer Pause.
    141
    »Ach! Das habe ich vergessen! Von vorn! Ganz
    unschuldig! Jack – Herz von Gold: Morris – Herz
    von Gold: seine Lordschaft – Herz von – Diamant!«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid … sehr
    leid … ich verderbe dir die herrliche Welt, alter Kna-be …«
    Er senkte den Blick und fuhr mit den Fingern
    durch die aufgeschüttete Erde.
    »Weiße Lady … hier!« Lord Sheringhams Stimme
    erschallte sonderbar laut. »Seht! Die Weiße Lady!«
    Mister Trumpet mühte sich ächzend, dem anderen
    Mann in den Traum zu kriechen. »Wo? Wo?«
    Aber jedes Mannes Kopf ist sein eigenes Schloß,
    zu dem es

Weitere Kostenlose Bücher