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Jack Holborn

Jack Holborn

Titel: Jack Holborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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riechend.«
     
    Dem Anschein nach hatte ich nicht mehr als zehn Minuten geschlafen, als ich mit einem Tritt und der frohen Botschaft geweckt wurde, daß die Sonne vor mir aufgegangen war. Mein Tag war angebrochen.
    »Gott schütze mich!« murmelte ich.
    »Was ist das! Was ist das?« schrie Mister Pobjoy. Er war in der übelsten Laune erwacht und saß mit gesträubtem Haar und Händen, die die Tischkante umklammerten: Ein sehr sauertöpfischer und verdreckter alter Mann, der nach Gin lechzte.
    »Du hast einen Fluch auf Pobjoy gelegt! Du hast gesagt – Pobjoy verrecke! Seine Zunge vertrocknet, seine Haut prickelt, seine Eingeweide kehren sich um! Geh, hol ein Faß von diesem Gin. Das ist Pobjoys Wunsch – gleich! Oder er schneidet dir die Leber raus und gibt sie der verdammten Crew zum Frühstück.«
    Er ergriff ein Messer und begann, durch die enge Kombüse rückwärts und vorwärts zu laufen, wobei er an die Töpfe stieß, die ihm im Weg waren, und nur anhielt, um zu heulen, daß er verflucht sei und ohne seinen notwendigen Gin zugrundegehen würde.
    Das, dachte ich, hatte ich von meinem Wunsch, gefällig zu sein. Ich hätte Bescheid wissen sollen, als ich die Glühwürmchen in seinen Augen sah. Ich hatte mit meiner Mär ein Feuer in seinem Kopf entfacht, das nur der Gin löschen konnte. Die ganze Nacht muß der Gedanke an Gin in seinem Kopf geschwärt haben – »es gibt Gin an Bord« – und ein Mister Pobjoy weckte den schlafenden anderen und erzählte es ihm. Denn ich schwöre, es gab zwei Mister Pobjoys in einem. Deshalb hat er sich vielleicht auch nie – bis auf einmal – »mich« oder »ich« genannt, sondern immer »er« oder »Pobjoy«, als sei er nur der furchtsame Zeuge des tiefinnerlichen schrecklichen Pobjoy – Pobjoy, der vom Gin-Wahn Besessene, der schlief, bis die Worte »es gibt Gin an Bord, Pobjoy«, ihm ins unsichtbare Ohr geflüstert wurden …
    Ich flüchtete mich unter den Tisch. Ich sah seine narbigen und verschorften Füße über die Bretter stampfen und alle paar Sekunden sein wildes Gesicht auf den Kopf gestellt, Bart in der Luft, umherglotzend, wo ich mich versteckt hielt.
    Als ich bereits die Hoffnung aufgegeben hatte, diesen Morgen zu überleben, kam ein Paar reinlicherer

     
    Füße hinzu, und eine bekannte Stimme forderte Mister Pobjoy auf, sich zu beruhigen, da der Junge ein armer Kerl sei und mit der unversehrten Leber im Körper keinen großen Schaden anrichten würde – und mit rausgeschnittener keinen Nutzen. Dann hörte ich Mister Pobjoy schwer gegen das Ende der Kombüse taumeln, wo mit Getöse die Kupferkessel reichlich über seinem Haupt zusammenstürzten.
    Ich glaube, Mister Morris muß ihn geschubst haben, bin aber nicht sicher. Es ist aber wohl sicher, daß er mir das Leben gerettet hat – wenn er es auch mit gewohnter Unbekümmertheit da ließ, wo es war – unter dem Tisch – ohne ihm einen Blick zu gönnen. Beim Hinausgehen sagte er nur: »Ich lasse ihn in Ihrer Obhut, Mister Pobjoy. Schlagen Sie ihn nicht tot, ohne mich vorher zu fragen.«

III
    So war ich also Pobjoys Junge, Pobjoys Fluch, Pobjoys Knochenmehl, Pobjoys Hautsack, Pobjoys Maus, Pobjoys Ratte geworden: und zuweilen, wenn der Gin süß schmeckte, Pobjoys Lehrling und Kind. Die Tage streckten sich vor mir so rauh und riesig wie die großen Segel der Charming Molly: es waren tatsächlich Leinwandtage, voll von nichts als dem Wind, der uns antrieb, und ich entdeckte in ihnen, daß alle die düsteren, feindseligen Kains, die im geraubten Schiff fuhren, sich nicht so gleich waren, daß man sie nicht hätte unterscheiden können. Sie hatten verschiedene Namen und Vorlieben und wechselnde Zu- und Abneigungen füreinander … Außerdem fand ich, daß sie nicht alle so schlecht waren, wie sie alle schienen: manche waren bestimmt schlechter.
    Da gab es einen gewissen Mister Taplow, einen rothaarigen Walliser und eine wandelnde geballte Ladung von Haß auf die ganze mickrige Welt. Dann gab es die Brüder Fox, Ben und Sam, sehr liebevolle Söhne einer toten Mutter und eines gehängten Vaters, daher war ihre Liebe im Grab … Und einen Kanonier, namens Clarke, und andere, die mir täglich Anlaß gaben, ihnen weniger als Gutes zu wünschen …
    Vom Kapitän war immer noch nichts zu sehen, obwohl sein Geist, wie Mister Pobjoy vorausgesagt hatte, machtvoll über dem Schiff brütete. So kräftig und zielbewußt blies der Wind, daß er sein Herr zu sein schien, während die Männer an Bord wie die bösen Kinder

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