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Jack Holborn

Jack Holborn

Titel: Jack Holborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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beflecken und dich keines Namens schämen. War es eine Kirchentür, die an dir Mutterstelle vertrat?«
    »St. Bride’s, wie man mir gesagt hat.«
    Er sah mich sehr prüfend an und senkte dann wieder die Augen.
    »Vor vierzehn Jahren, Jack? Das hast du Morris gesagt.«
    »Soviel ich weiß.«
    Darauf folgte eine lange Pause, in der er mit sich zu streiten schien.
    »Dreizehn war’s, Junge – du kannst dich drauf verlassen: es war vor dreizehn Jahren.«
    »W-warum sagen Sie das … warum?«
    »Weil – weil du mehr wie dreizehn aussiehst als vierzehn. Da! Zufrieden?«
    »Ja-jawohl … aber … Sie haben gestockt – als ob … als ob sie etwas wüßten … eine Erinnerung –«
    »Ich habe an was anderes gedacht.«
    »Aber Sie haben mich – gerade – angesehen, als ob –«
    »Als ob was?«
    »Ich – ich weiß nicht –«
    »Als ob ich mich an was erinnerte, meinst du? Woran sollte ich mich erinnern? Einen Tag vor dreizehn Jahren? Eine Dame mit Schleier, die zu einer Kirche ging? Vielleicht St. Bride’s? Eine Dame, deren Gesicht ich kannte? Obwohl sie es vor der Welt verbergen wollte? War’s das vielleicht, Jack?«
    »Ich weiß nicht – ich weiß nicht!«
    »Ein warmer Abend, nicht wahr? Der Monat war –«
    »Juli!«
    »Der Monat war Juli … der Tag – kann ich mich erinnern? vielleicht – vielleicht der vierzehnte.«
    Er murmelte etwas, was ich nicht verstand. Ich fragte ihn danach, aber er lachte und schüttelte den Kopf. Dann hielt er inne und sah mich mit so ungeheurem Ernst an, daß die Sonne auf einmal kalt geworden schien.
    »Du siehst aus wie dein Vater, Jack. Ganz wie er.«
    Ich muß weiß geworden sein wie ein Gespenst – denn er schien besorgt und sagte, er bedauerte seine Worte. Er hätte mich nicht beunruhigen wollen. Ich sollte es vergessen. Darauf kniete ich vor ihm nieder und flehte ihn an, mir mehr zu verraten, was ich »vergessen« sollte. Den Namen. Den Namen. Um Gottes willen den Namen.
    »Sein Name ist Tod , Jack. Er ist tot.«
    »Aber meine Mutter –«
    Worauf er mir antwortete, daß ein Kirchspieljunge besser dran ist ohne ein solches Wissen. Hatten wir uns nicht geeinigt? Es hilft nichts, so was zu wissen. Aber ich war Feuer und Flamme – auch wenn es nichts half – und alles, was er sagte, schürte nur den Brand. In Sekunden war ich umgewandelt. Die gewohnte Düsternis, die immer der Mittelpunkt meines Lebens gewesen war, zerrann. Trotz der ungünstigen Umstände, die herrschten, war ich von Freude überwältigt. Der Name! der Name! Es schien unmöglich, daß er ihn mir so lange vorenthalten konnte. Ich fühlte unendliche Kräfte der Überredung – ich war unwiderstehlich. Und er war sichtlich von mir begeistert, als ich ihn plagte – rückte nur ein wenig zur Seite, als ich drauf und dran war, ihn zu zupfen: denn er konnte es nicht leiden, berührt zu werden … Aber er rückte nicht weit weg, und ich ließ mich daher nicht entmutigen.
    Ich sagte ihm, er müsse es mir erzählen. Er lachte und erwiderte, »müssen« sei ein Wort, daß ich lieber vergessen sollte. Aber er sprach gütig, wollte mich nicht kränken oder verletzen. Dann ergab es sich – weiß Gott wie! –, daß er viel Sinn für Gerechtigkeit und Anstand besaß. Er hatte auch ein Gefühl für Verpflichtung. Wäre er mir verpflichtet gewesen, hätte er mein Geheimnis sofort preisgegeben. Aber ich war ihm verpflichtet: doppelt sogar. Zweimal hatte mich Mister Morris gerettet: einmal, als ich zuerst entdeckt wurde, und ein zweites Mal am Morgen danach. Und Mister Morris war sein Werkzeug. Daher diktierte die Gerechtigkeit und verlangte der Anstand, daß ich mich erst dieser doppelten Verpflichtung entledigen und ihm dann noch eine auferlegen müsse, bevor ich vernünftigerweise mein Geheimnis erwarten konnte.
    Was sollte ich also tun? Nicht viel. Nur dreimal sein Leben retten. Nicht mehr als das.
    »Was? Das kann sich an einem einzigen Tag ereignen!« rief er ermunternd aus, als er sah, daß ich ein bißchen verzagt aussah.
    »Ich könnte ausrutschen, und du ziehst mich zurück und bewahrst mich vorm Ertrinken. Ein Mann verliert den Verstand und überfällt mich von hinten – und du schreist auf oder stellst ihm ein Bein: kein wilder Kampf, den du verlieren würdest, sondern bloß ein Wort oder ein gut gestellter Fuß, um mir Zeit zu geben, wie? Du könntest sogar einen vielversprechenden Verrat ausschnüffeln … du weißt schon, was ich meine, Jack: ›Wenn der Teufel an Land geht, blinkst du dein Licht

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