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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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dachte er, also soll sie auch für seine Beseitigung zahlen.
24
    Am Samstagmorgen flogen wir mit einem Hubschrauber von Quantico zum National Airport und gingen dort an Bord eines kleinen FBI-Jets. Unser Ziel war Colorado. Wo mein Bruder gestorben war. Wo die Spur am frischesten war. Außer mir saßen Backus, Walling und ein Kriminaltechniker namens Thompson in der Maschine, den ich von der Besprechung am Vorabend her wiedererkannte. Unter meinem Jackett trug ich ein hellblaues Polohemd mit dem FBI-Emblem auf der linken Brust. Walling hatte am Morgen an die Tür meines Gästezimmers geklopft und es mir mit einem Lächeln präsentiert. Es war eine nette Geste, aber ich konnte es kaum abwarten, nach Denver zu kommen und meine eigenen Sachen anzuziehen. Es war ein ruhiger Flug. Ich saß drei Reihen hinter Backus und Walling.
    Ungefähr auf halber Strecke stand Rachel auf und kam zu mir nach hinten. Sie trug Jeans, eine grüne Cordbluse und schwarze Wanderstiefel. Als sie sich auf dem Sitz neben mir niederließ, schob sie ihr Haar hinters Ohr. Sie war wunderschön, und mir wurde klar, dass sich meine Gefühle für sie im Laufe von vierundzwanzig Stunden von Hass zu Verlangen gewandelt hatten.
    »Woran denken Sie?«
    »An nicht viel. An meinen Bruder zum Beispiel. Ich kann es immer noch kaum glauben.«
    »Standen Sie einander nahe?«
    »Meistens.« Ich wollte ihr die Wahrheit sagen. »Aber in den letzten paar Monaten, nein ... Es ist schon früher mal passiert. Es war eine Art Zyklus. Wir kamen eine Weile gut miteinander aus, und dann konnten wir uns nicht ausstehen.«
    »War er älter oder jünger?«
    »Älter.«
    »Wie viel älter?«
    »Drei Minuten. Wir waren Zwillinge.«
    »Das habe ich nicht gewusst.«
    Ich nickte, und sie runzelte die Stirn, als dächte sie, dass diese Tatsache den Verlust noch schmerzlicher gemacht hatte. Vielleicht stimmte es ja auch.
    »Das ist mir in den Berichten entgangen.«
    »Es ist vermutlich nicht wichtig.«
    »Nun, es würde erklären, weshalb Sie ... Ich habe schon oft über Zwillinge nachgedacht.«
    »Sie meinen, ob ich an jenem Abend, an dem er ermordet wurde, eine psychische Botschaft von ihm erhalten habe? Die Antwort lautet nein. Derartiges Zeug hat es zwischen uns nie gegeben. Oder wenn es das gegeben hat, dann ist es mir nie bewusst geworden, und er hat es auch nie erwähnt.«
    Sie nickte, und ich schaute ein paar Sekunden lang aus dem Fenster. Es tat gut, mit ihr zusammen zu sein, trotz unserer unerquicklichen ersten Begegnung am Tag zuvor. Aber ich begann zu argwöhnen, dass Rachel Walling imstande war, auch ihrem schlimmsten Feind Vertrauen einzuflößen.
    Um den Spieß umzudrehen, versuchte ich, sie auszufragen. Sie erwähnte ihre Ehe, von der ich bereits von Warren gehört hatte, sagte aber nicht viel über ihren Ex-Mann. Sie sei nach Georgetown gegangen, um dort Psychologie zu studieren, und wäre in ihrem letzten Jahr vom FBI rekrutiert worden, erzählte sie. Nachdem sie eine Zeit lang als Agentin beim Field Office in New York gearbeitet hatte, war sie zur Columbia University gegangen und hatte in Abendkursen Jura studiert. Sie gab offen zu, dass die Tatsache, dass sie eine Frau war und außerdem ein abgeschlossenes Jurastudium vorzuweisen hatte, sie auf die Schnellspur des FBI befördert und ihr einen sehr begehrten Posten eingebracht hatte.
    »Ihre Eltern müssen sehr stolz auf Sie sein«, sagte ich.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Nein?«
    »Meine Mutter hat mich verlassen, als ich noch ziemlich klein war. Ich habe sie seit langem nicht mehr gesehen. Sie weiß nichts von mir.«
    »Und Ihr Vater?«
    »Er starb, als ich noch ein Kind war.«
    Ich wusste, dass ich die Grenzen eines Small Talks überschritten hatte. Aber mein journalistischer Instinkt drängte mich, immer die nächste Frage zu stellen. Außerdem spürte ich, dass sie bereit war, mehr zu erzählen.
    »Was ist passiert?«
    »Er war Polizist. Wir lebten in Baltimore. Er hat Selbstmord begangen.«
    »Oh, du liebe Güte, Rachel. Das tut mir sehr leid. Ich hätte nicht...«
    »Nein, das ist schon in Ordnung. Ich wollte, dass Sie es wissen. Ich glaube, es ist der Grund für das, was ich bin und was ich tue. Vielleicht verhält es sich ebenso wie mit Ihrem Bruder und seiner Geschichte. Deshalb wollte ich Ihnen sagen, dass es mir Leid tut, wenn ich Sie gestern zu grob angepackt habe.«
    »Machen Sie sich deshalb keine Sorgen.«
    »Danke.«
    Wir schwiegen für ein paar Augenblicke, aber ich spürte, dass das Thema noch

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