Jack McEvoy 01 - Der Poet
Vermutlich war es das Hemd.
Rachel und Thompson warteten im Foyer, wo wir vor dem Dinner noch einen Drink nehmen wollten. Als Backus ihr einen der Schlüssel gab, hörte ich ihn sagen, dass sie Zimmer 321 habe. Ich merkte mir die Nummer. Ich war vier Türen weiter in Zimmer 317 untergebracht und dachte schon jetzt an die vor uns liegende Nacht. Ich wollte ihr gerne näher kommen.
Nach einer halben Stunde belanglosen Geplauders stand Backus auf und sagte, er ginge jetzt in sein Zimmer, um die eingegangenen Berichte durchzusehen. Dann wollte er zum Flughafen hinausfahren, um Thorson und Carter abzuholen. Er lehnte den Vorschlag, mit uns zu Abend zu essen, ab und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Ein paar Minuten später verabschiedete sich auch Thompson; er hatte vor, sich noch einmal eingehend mit dem Autopsiebericht über Orsulak zu beschäftigen.
»Nun, dann sind wir beide ja ganz allein, Jack«, sagte Rachel, als Thompson außer Hörweite war. »Worauf haben Sie Appetit?«
»Ich weiß es nicht. Wie steht es mit Ihnen?«
»Ich habe darüber noch nicht nachgedacht. Aber ich weiß, was ich vorher tun möchte. Ein heißes Bad nehmen.«
Wir verabredeten, uns eine Stunde später zum Dinner zu treffen. Wir fuhren im Fahrstuhl nach oben, schweigend. Die Luft zwischen uns knisterte vor erotischer Spannung.
In meinem Zimmer versuchte ich, meine Gedanken von Rachel abzulenken. Ich verband meinen Computer mit der Telefonleitung und sah nach, ob Botschaften aus Denver eingegangen waren. Es gab nur eine von Greg Glenn, der fragte, wo ich war. Ich beantwortete sie, bezweifelte aber, dass er meine Antwort zu Gesicht bekommen würde, bevor er am Montag wieder zur Arbeit erschien. Dann schickte ich eine Botschaft an Laurie Prine und bat sie um die Suche nach allen Artikeln über Horace den Hypnotiseur, die in den letzten sieben Jahren in Zeitungen in Florida erschienen waren. Ich bat sie, alles, was sie fand, an meinen Computer zu übermitteln, sagte aber, es sei nicht eilig.
Anschließend ging ich unter die Dusche und zog dann für das Dinner mit Rachel meine neuen Sachen an. Ich war zwanzig Minuten zu früh fertig und dachte daran, hinunterzufahren und zu sehen, ob es in der Nähe einen Drugstore gab. Aber dann bezweifelte ich, dass es einen guten Eindruck auf Rachel machen würde, wenn ich mit einem Kondom griffbereit in der Tasche in ihr Bett kam. Sollte es überhaupt dazu kommen. Ich entschied mich gegen den Drugstore. Ich würde den Dingen ihren Lauf lassen.
»Haben Sie CNN gesehen?«
»Nein«, sagte ich. Ich stand auf der Schwelle ihres Zimmers. Sie kehrte zum Bett zurück und setzte sich, um ihre Schuhe anzuziehen. Sie machte einen erfrischten Eindruck und trug eine cremefarbene Bluse und schwarze Jeans. Der Fernseher war noch eingeschaltet, aber es wurde ein Bericht über die Schießerei vor der Klinik in Colorado gezeigt. Das war sicher nicht das, was sie meinte.
»Worum ging es?«
»Wir waren im Fernsehen. Sie, ich und Bob, als wir aus dem Bestattungsinstitut kamen. Irgendwie haben sie Bobs Namen herausgekriegt und auf den Bildschirm gebracht.«
»Hieß es, dass er beim BSS arbeitet?«
»Nein, nur FBI. Aber das ist unwesentlich. CNN muss das Material von dem Lokalsender übernommen haben. Wenn der Täter, wo immer er sich befinden mag, das gesehen hat, bekommen wir vermutlich ein Problem.«
»Wieso? Es ist doch nicht ungewöhnlich, dass das FBI einen Blick auf Fälle wie diesen wirft! Es steckt doch seine Nase oft in alle möglichen Dinge.«
»Das Problem ist, dass das Fernsehen dem Poeten in die Hände spielt. Wir erleben das bei fast allen dieser Fälle. Eine der Befriedigungen, auf die diese Art von Killern aus ist, besteht darin, ihre Taten im Fernsehen und in den Zeitungen geschildert zu sehen. Das ermöglicht es ihnen gewissermaßen, die Tat in der Fantasie noch einmal zu durchleben. Diese Mediengeilheit wirkt sich negativ auf die Verfolgung aus. Ich habe das Gefühl, dass dieser Kerl, der Poet, mehr über uns weiß, als wir über ihn. Wenn ich Recht habe, dann hat er vermutlich Bücher über Serienmörder gelesen. Populärwissenschaftlichen Kram, vielleicht sogar einige seriösere Werke. Ihm sind vermutlich Namen be kannt. Bobs Vater wird in vielen Schriften erwähnt, Bob selbst in einigen. Und meiner auch. Unsere Namen, unsere Fotos, unsere Worte. Wenn er nun den CNN-Bericht gesehen und uns erkannt hat, dann vermutet er bestimmt, dass wir ihm dicht auf den Fersen sind. Durchaus möglich, dass
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