Jack McEvoy 01 - Der Poet
eines langanhaltenden Missbrauchs gewesen war. Wenn der Mörder des Jungen gleichzeitig derjenige war, der ihn lange Zeit missbraucht hat, dann passt das nicht in unser Bild der zufälligen Auswahl von Opfern. Deshalb kommt uns das unwahrscheinlich vor.
Aber wenn man die Sache wie Beltran vor drei Jahren betrachtet, der damals nicht wusste, was wir heute wissen, dann gibt es eine Ungereimtheit. Er kannte nur diesen einen Fall, wusste nichts von den anderen. Als der Autopsiebericht kam und es darin hieß, dass der Junge lange Zeit missbraucht worden war, hätte man doch annehmen sollen, dass Beltran sich darauf gestürzt und nach dem Missbraucher als Verdächtigem Nummer eins gesucht hätte.«
»Und das hat er nicht getan?«
»Nein. Er leitete ein Team von drei Detectives und richtete das Interesse bei der Ermittlungsarbeit ausschließlich auf den Park, in dem der Junge nach der Schule entführt worden war. Das habe ich vertraulich von einem der Männer des Teams erfahren. Er sagte, er habe damals eine eingehendere Untersuchung der Vorgeschichte des Jungen vorgeschlagen, aber Beltran habe das abgelehnt.
Und nun kommt’s. Mein Informant im Büro des Sheriffs hat mir erzählt, dass Beltran ausdrücklich darum gebeten hatte, dass ihm dieser Fall übertragen wurde. Nachdem er dann angeblich Selbstmord begangen hatte, stellte mein Informant ein paar Ermittlungen an, und dabei stellte sich heraus, dass Beltran den Jungen im Rahmen eines lokalen Programms gekannt hatte, das Best Pals genannt wird und bei dem vaterlose Jungen mit Erwachsenen zusammengebracht werden. So eine Art Großer-Bruder-Verhältnis. Beltran war ein Cop, also hatte er im Auswahlverfahren keine Probleme. Er war der Best Pal des Jungen. Ich bin sicher, den Rest können Sie sich zusammenreimen.«
»Sie glauben, dass Beltran selbst den Jungen missbraucht hat?«, fragte Backus.
»Es wäre möglich. Ich glaube, dass mein Informant dies andeuten wollte, aber er will es nicht an die große Glocke hängen. Alle Beteiligten sind tot. Der Fall wurde zu den Akten gelegt. Sie wollen nicht, dass eine derartige Geschichte an die Öffentlichkeit dringt. Schließlich geht es um einen von ihnen, und zum Sheriff wird man gewählt.« Ich sah, wie Backus nickte.
»Das war zu erwarten.«
Ein paar Augenblicke lang herrschte Schweigen.
»Ted, Steve, das ist alles wirklich sehr interessant«, sagte Backus schließlich. »Aber passt es ins Bild? Ist es nur eine interessante Geschichte, oder sehen Sie mehr darin?«
»Darüber sind wir uns selbst noch nicht sicher. Aber wenn man davon ausgeht, dass Beltran ein Kinderschänder war, und hinzunimmt, dass er mit einer Schrotflinte umgebracht wurde, von der jemand wusste, dass sie im Schrank lag, weil er Beltran kannte, dann sollten wir diese Angelegenheit meiner Ansicht nach gründlicher untersuchen.«
»Ganz meine Meinung. Was hat Ihr Informant sonst noch über Beltran und Best Pals gewusst?«
»Er sagte, er habe gehört, dass Beltran lange Zeit an dem Programm beteiligt war. Wir vermuten, dass er mit einer Menge Jungen zusammen war.«
»Und das ist es, was Sie weiter zu verfolgen gedenken, richtig?«
»Wir machen uns gleich morgen früh an die Arbeit. Heute Abend können wir nichts mehr tun.«
Backus nickte und legte nachdenklich einen Finger über den Mund.
»Brass?«, sagte Backus. »Was halten Sie davon? Wie würde das zu der Psychopathologie passen?«
»Kinder ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Und Cops von Mordkommissionen gleichfalls. Wir wissen nur noch nicht, was es mit diesem Mann auf sich hat. Ich glaube, das ist etwas, das gründlich untersucht werden sollte.«
»Ted, Steve, brauchen Sie Verstärkung?«, fragte Backus.
»Ich glaube, wir kommen zurecht. Alle im Tampa Field Office wollen mitmachen. Wir haben dort also reichlich Unterstützung.«
»Sehr gut. Haben Sie übrigens schon mit der Mutter des Jungen über sein Verhältnis zu Beltran gesprochen?«
»Wir versuchen noch, sie ausfindig zu machen, genau wie Beltrans Schwester. Schließlich ist das drei Jahre her. Ich hoffe, wir finden sie morgen, nachdem wir uns eingehender mit den Best Pals beschäftigt haben.«
»Okay, und nun Baltimore. Sheila?«
»Ja, Sir. Wir haben den größten Teil des Tages damit verbracht, die Ermittlungsergebnisse der örtlichen Polizei zu überprüfen. Wir haben mit Bledsoe gesprochen. Seine Theorie in dem Polly-Amherst-Fall war von Anfang an, dass sie nach einem Kinderschänder suchen müssten.
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