Jack McEvoy 01 - Der Poet
nichts. Aber ich habe eine Frage. Ich frage Sie, worin besteht das Verbrechen? Ich sage damit nicht, dass ich es getan habe, aber selbst wenn ich es getan hätte: Mir ist nicht bekannt, dass das Fotografieren von Kindern am Strand neuerdings gegen das Gesetz verstößt.«
Gladden schüttelte den Kopf, als sei er verwirrt. Delpy schüttelte den Kopf, als sei sie angewidert.
»Detective Delpy, ich kann Ihnen versichern, dass es zahlreiche Präzedenzfälle gibt, denen zufolge das Betrachten harmloser öffentlicher Nacktheit - in diesem Fall eine Mutter, die ein kleines Kind am Strand wäscht - nicht als lüsternes Interesse angesehen werden kann. Verstehen Sie, wenn der Fotograf, der eine solche Aufnahme gemacht hat, ein Verbrechen begangen hätte, dann müssten Sie auch die Mutter anklagen, weil sie ihm die Gelegenheit dazu verschafft hat. Aber das wissen Sie vermutlich alles. Ich bin sicher, Sie haben die letzten anderthalb Stunden damit verbracht, den zuständigen Staatsanwalt zu konsultieren.«
Sweetzer beugte sich vor, kam ihm ganz nahe. Gladden regis trierte den Geruch nach Zigaretten und Pommes frites mit Bar becue-Sauce in seinem Atem. Er vermutete, dass Sweetzer die Pommes absichtlich gegessen hatte, nur damit sein Atem bei dem Verhör unerträglich war.
»Jetzt hören Sie mir einmal zu, Sie Arschloch. Wir wissen genau, wer Sie sind und was Sie tun. Ich habe schon mit Mord und Vergewaltigung zu tun gehabt - aber ihr Kerle, ihr seid die niedrigste Lebensform, die auf diesem Planeten existiert. Sie wollen nicht mit uns reden? Na schön, kein Problem. Dann tun wir eben Folgendes. Wir bringen Sie heute Abend nach Biscailuz und stecken Sie in eine Gemeinschaftszelle. Ich kenne ein paar von den Leuten dort, Brisbane. Und ich werde ihnen Bescheid sagen. Wissen Sie, was dort mit Pädosexuellen passiert?«
Gladden drehte langsam den Kopf, bis er schließlich zum ersten Mal gelassen in Sweetzers Augen schaute.
»Detective, ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, Ihr Atem allein könnte eine grausame und unübliche Form der Misshandlung darstellen. Falls ich je dafür verurteilt werden sollte, dass ich am Strand Fotos gemacht habe, könnte mir das einen Berufungsgrund liefern.« Sweetzer riss wütend seinen Arm hoch.
»Ron!« Er erstarrte, sah Delpy an und senkte den Arm dann langsam wieder. Gladden war bei der Drohgebärde nicht einmal zusammengezuckt. Er hätte den Schlag begrüßt. Er wusste, dass er ihm vor Gericht geholfen hätte.
»Prima«, sagte Sweetzer. »Wir haben hier also einen Knastanwalt, der sich einbildet, alle Tricks zu kennen. Das ist reizend. Nun, heute Abend werden Sie ein paar neue Schriftsätze verfassen können, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Kann ich jetzt einen Anwalt anrufen?«, fragte Gladden mit gelangweilter Stimme.
Er wusste, wie sie vorgehen wollten. Sie hatten nichts, und sie versuchten, ihm so viel Angst einzujagen, dass er einen Fehler machte. Aber den Gefallen würde er ihnen nicht tun, denn er war viel zu smart für sie. Und er vermutete, dass sie das tief in ihrem Innern auch wussten.
»Hören Sie, ich gehe nicht nach Biscailuz, und das wissen Sie genauso gut wie ich. Was haben Sie denn schon gegen mich in der Hand? Sie haben meine Kamera, die, wie Sie inzwischen bestimmt festgestellt haben, keine Aufnahmen enthält. Und Sie haben eine Karussellbesitzerin oder einen Strandwächter oder sonst jemanden, der behauptet, ich hätte ein paar Fotos gemacht. Aber dafür gibt es keinerlei Beweise. Und wenn Sie mich eben durch dieses Fenster hindurch von jemandem haben betrachten lassen, dann ist auch diese Identifikation praktisch wertlos, weil man sie beim besten Willen nicht als unbeeinflusste Gegenüberstellung bezeichnen kann.«
Er verstummte. Jetzt hatte er die Oberhand.
»Aber der Kern der Sache ist, dass derjenige, der hinter der Scheibe stand, Zeuge von etwas war, das nicht einmal ein Verbrechen ist. Wieso das also eine Nacht im County-Gefängnis rechtfertigen sollte, begreife ich nicht. Aber vielleicht können Sie es mir erklären, Detective Sweetzer, falls das keine zu hohen Ansprüche an Ihre Intelligenz stellt.«
Sweetzer sprang auf. Sein Stuhl stieß gegen die Wand. Delpy streckte einen Arm aus und hielt ihn abermals zurück.
»Lass das, Ron«, befahl sie ihm. »Setz dich wieder hin.« Sweetzer tat, was sie verlangte. Dann sah Delpy Gladden an.
»Wenn Sie so weitermachen, muss ich tatsächlich noch anrufen«, sagte er. »Wo ist das Telefon, bitte?«
»Sie
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