Jack McEvoy 01 - Der Poet
UPI-Meldungen durchlaufen, um zu sehen, ob irgendetwas Interessantes geschehen war.
Es gab eine Meldung über einen Arzt, auf den vor einer Frauenklinik in Colorado Springs geschossen worden war. Man hatte einen militanten Abtreibungsgegner verhaftet, und der Arzt lebte noch. Ich kopierte die Meldung in meine private Ablage- Datei, aber ich glaubte nicht, dass ich je etwas damit anfangen würde, es sei denn, der Arzt starb.
Jemand klopfte an meine Tür. Ich schaute durch den Spion, bevor ich sie öffnete. Es war Jane, die die Wohnung unter meiner hatte. Sie wohnte seit ungefähr einem Jahr im Haus, und ich hatte sie kennen gelernt, als sie bei ihrem Einzug um Hilfe beim Aufstellen der Möbel bat. Sie war beeindruckt, als ich ihr erzählte, dass ich Zeitungsreporter sei, hatte aber keine Ahnung, was ich genau tat. Wir waren zweimal zusammen ins Kino und einmal zum Essen gegangen und einen Tag in Keystone zum Skilaufen gewesen, aber mehr war nicht dabei herausgekommen. Ich glaube, es lag an meiner Zurückhaltung, und nicht ihrer. Sie war attraktiv, aber ziemlich umtriebig, und da ich selbst auch nicht besonders ruhig bin - jedenfalls innerlich nicht -, wollte ich wohl jemanden, der anders war.
»Hallo, Jack. Ich habe deinen Wagen in der Garage gesehen, daher wusste ich, dass du wieder da bist. Wie war der Urlaub?«
»Sehr schön. Es hat gut getan, einmal wegzukommen.«
»Bist du Ski gelaufen?«
»Ein bisschen. Ich war in Telluride.«
»Hört sich gut an. Übrigens, wenn du wieder einmal unterwegs bist, kann ich gerne deine Pflanzen versorgen oder deine Post reinlegen oder sonst etwas. Du brauchst nur Bescheid zu sagen.«
»Danke, aber ich habe keine Pflanzen. Mein Job bringt es mit sich, dass ich viel unterwegs bin, deshalb schaffe ich mir gar nicht erst welche an.«
Ich hätte sie auf einen Kaffee hereinbitten müssen, aber ich tat es nicht.
»Bist du auf dem Weg zur Arbeit?«, fragte ich stattdessen.
»Ja.«
»Ich muss auch gleich los. Aber wenn ich wieder richtig Fuß gefasst habe, können wir gern mal etwas zusammen unternehmen. Vielleicht ins Kino gehen.«
Wir mochten beide De-Niro-Filme. Das war das Einzige, das wir gemeinsam hatten.
»Okay, ruf mich an.«
»Mach ich.«
Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sie nicht hereingebeten hatte. Ich schaltete den Computer aus, und mein Blick fiel auf den gut zwei Zentimeter dicken Stapel Papier neben dem Drucker. Mein unvollendeter Roman. Ich hatte vor mehr als einem Jahr damit angefangen, kam aber einfach nicht weiter. Er sollte von einem Schriftsteller handeln, der nach einem Motorradunfall vollständig gelähmt ist. Mit dem Geld aus der Abfindung heuert er eine schöne junge Frau von der Universität an, die tippen soll, was er ihr diktiert. Aber schon bald wird ihm klar, dass sie seine Sätze redigiert und umformuliert, bevor sie sie überhaupt eintippt. Und ihm dämmert, dass sie die bessere Schriftstellerin ist. Schließlich sitzt er stumm in seinem Zimmer, während sie schreibt. Er möchte sie umbringen, sie erwürgen. Aber er kann die Hände nicht bewegen. Die wahre Hölle.
Der Stapel Blätter auf dem Tisch war eine ständige Herausforderung, es noch einmal zu versuchen. Ich weiß nicht, warum ich ihn nicht zu dem anderen Roman in die Schublade warf, den ich Jahre zuvor begonnen und ebenfalls nicht fertig geschrieben hatte. Aber ich tat es nicht. Vermutlich wollte ich, dass er da liegen blieb, damit ich ihn immer sehen konnte.
Der Redaktionssaal der Rocky war fast leer, als ich eintraf. Der Morgenredakteur und die Reporter der Frühschicht waren bei der Arbeit, aber sonst sah ich niemanden. Die meisten Leute kamen erst um neun oder noch später.
Ich holte mir noch einen Kaffee, dann machte ich mich auf den Weg zur Bibliothek. Auf dem Eingangstresen lag ein dicker Computerausdruck mit meinem Namen darauf. Ich warf einen Blick in Richtung Lauries Schreibtisch, um ihr persönlich zu danken, aber sie war auch noch nicht da.
Von meinem Arbeitsplatz aus konnte ich in Greg Glenns Büro sehen. Er telefonierte wie gewöhnlich. Ich machte mich an die übliche parallele Lektüre der Rocky und der Post. Die tägliche Beurteilung des Kleinkriegs zwischen den beiden Zeitungen von Denver machte mir immer Spaß.
Aber gewöhnlich brachten beide Zeitungen dieselben Storys, und der eigentliche Kampf war eine Art Grabenkrieg. Ich pflegte erst unsere Story zu lesen und dann ihre und stellte danach fest, welche besser
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